Mensch… Hans-Werner Sinn

Gratuliere! So kunstvoll ist lange keiner mehr mit beiden Beinen voran ins Fettnäpfchen gesprungen wie Sie mit ihrem Vergleich der armen, verfolgten Manager von heute mit den Juden vor 80 Jahren. Man kann förmlich vor sich sehen, wie der entfesselte Kleinanleger-Mob die gebeutelten Unternehmenslenker vor sich hertreibt, ihre Golfplätze verwüstet, die Penthäuser stürmt, die Firmen-Jets in Flammen setzt und die Villen auf den Malediven als Volkseigentum zwangsenteignet.Mal im Ernst: Wir sind es ja seit Jahrzehnten gewöhnt, dass noch der schwachsinnigste Vergleich mit der Nazizeit hierzulande einen Armleuchter findet, der ihn zieht.

Das regt außer dem Zentralrat der Juden kaum mehr jemanden auf. Was mich aber auf die Palme bringt, ist die - wenn der Ausdruck in diesem Zusammenhang überhaupt erlaubt ist - Chuzpe, mit der Sie sich nun als Krisen-Ratgeber gerieren, der nach Regeln und staatlichen Eingriffen ruft.

Seit Jahren kann ich keine Diskussion im Fernsehen einschalten, ohne dass Sie mit der Attitüde eines Dieter Bohlen der Volkswirtschaft, verbunden mit dem Abwechslungsreichtum einer tibetanischen Gebetsmühle erzählen, warum allein das freie Spiel der Marktkräfte selig macht und der Staat des Teufels ist. Noch die asozialste Politik war Ihnen nie hart genug. Selbst mitdiskutierenden Unternehmern schien ihr selbstgerechter Markt-Fetischismus bisweilen peinlich zu sein - abgesehen vom noch unvermeidlicheren Hans-Olaf Henkel, der wacker mit Ihnen um den Titel des Talkshow-Turbo-Kapitalisten wetteifert.

Dabei sind es doch Leute wie Sie, die hierzulande ein Klima geschaffen haben, in dem sich kein Manager und kaum mehr ein Politiker getraut hat, die Frage nach der Moral seines Handelns zu stellen. Wer auf die Idee gekommen wäre, auch nur auf einen Bruchteil erzielbarer Rendite zugunsten nachhaltigen, soliden oder gar sozialen Wirtschaftens zu verzichten, den hätten Sie doch im Namen des Shareholder Value bei lebendigem Leib am Plasberg-, Christiansen-, Will- oder Illner-Pranger gegrillt. Und jetzt, wo die Bude brennt, kommen Sie als Feuerwehrmann daher.

Ach so, ich vergaß! Sie haben sich ja mal eben entschuldigt. Klar, kann passieren, dass man bei einem Interview groben Unfug daherredet, ihn hinterher autorisiert und dann sagt: Ätsch, tut mir leid. Aber das kann man allenfalls einem Michael Ballack durchgehen lassen, bei dessen Leistung es mehr auf die Beine als auf den Kopf ankommt.

Sie hingegen täten gut daran, ein paar sehr, sehr schweigsame Sabbat-Jahre einzulegen. Sagen wir mindestens so lange, bis der Dax sein nächstes All-Time-High erreicht hat.

Dieter Lintz

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