Mensch…Kurt Beck

Sie haben es aber so was von schwer dieser Tage. Was immer Sie machen: es ist falsch. Ich fürchte, wenn Sie morgen barfuß über die Wellen des Rheins von Mainz nach Wiesbaden laufen, dann steht übermorgen in der Zeitung: "Schwimmen kann er also auch nicht".Ich kann mich noch genau daran erinnern: Als Sie den Parteichef-Job in Berlin übernommen hatten, hieß es überall, sie seien ein "interessanter Mann", "unverbraucht", man lobte ihren "volksnahen Blickwinkel" und ihr Bürgermeister-Ehrenamt im Heimatdörfchen.

Und alle empfahlen Ihnen, sich nicht von Berlin verbiegen zu lassen.Genau so haben Sie's gehalten. Nur dass man jetzt sagt, dieser komische Provinzonkel aus der Pfalz sei offenbar nicht lernfähig. Monatelang hat man kritisiert, Sie führten Ihre Partei zu wenig und seien nicht durchsetzungsfähig. Jetzt schimpfen die gleichen Leute, so undiplomatisch, ja diktatorisch dürfe man doch mit dem armen Franz Müntefering nicht umgehen. Noch ein Beispiel gefällig? Da lasen die Auguren aus allen Meinungsumfragen der letzten zwei Jahre, die SPD habe den Kontakt zu ihrer Stammwählerschaft verloren und gelte in ihren Domäne, der sozialen Gerechtigkeit, nicht mehr als kompentent. Nun gehen Sie ein halbes Schrittchen auf Ihre Klientel zu und entsprechen damit auch noch der Meinung von 85 Prozent der Deutschen, prompt heult die Meute was von Opportunismus, wähnt die Hartz-Reformen bereits im Grab und ergeht sich in düsteren Prognosen. Dabei ziehen Sie doch nur die logische Konsequenz aus der Tatsache, dass sich CDU- und FDP-Wähler zwar furchtbar freuen, wenn die SPD eine wirtschaftsliberale Politik macht, dass sie aber deswegen ihr Kreuzchen noch lange nicht bei den Sozis machen. Während umgekehrt SPD-Wähler die SPD nicht zwangsläufig immer weiter wählen, nur weil der Bundesverband der deutschen Industrie die politische Linie der Parteiführung lobt. Nun lobt er nicht mehr. Mal sehen, was passiert.Was Sie in diesen harten Zeiten trösten sollte, ist der Umstand, dass Angela Merkel vor fünf Jahren in der gleichen Situation war wie Sie. Zu ungeschickt, zu führungsschwach, zu profillos, und überhaupt, die Frisur dieser Ossi-Tante…Zugegeben, die Frisur hat sich verändert. Aber ansonsten ist Frau Merkel Frau Merkel geblieben, egal, was rumgemäkelt wurde. Ist vielleicht gar kein so schlechtes Erfolgsrezept. Dieter Lintz

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