Mensch… Silvia Neid

Das haben Sie schon stark gemacht mit Ihren Mädels da in China. Konnte ja auch nichts schief gehen, nachdem Sie ja eigens chinesische Namen für alle Spielerinnen hatten erfinden lassen. Zum Beispiel für Torhüterin Nadine Angerer.

Die hieß "An Na Di", zu Deutsch "Torhüterin, die fest und sicher im Tor steht und dem Team durch ihren Verstand Rückhalt bietet". Ja, wenn man da keinen Elfmeter hält, wann denn überhaupt? Ehrlich gesagt: Auf so eine Idee wäre unsereins als Mann sicher nicht gekommen. Wir holen ein Dutzend Konditions-, Taktik-, Strategie- und Mentaltrainer und schaffen's bei der WM doch nur auf Platz 3. Aber Jogi Löw heißt ja auch nicht wie Sie Lei Xu Wei, also "Trainerin, die durch guten Charakter und innere Unabhängigkeit den Respekt in ihrem Fach erhält". Da weiß man gar nicht, worüber man mehr staunen soll: über die treffliche Charakterisierung Ihrer Person oder über die Fähigkeit der Chinesen, mit ziemlich wenigen Worten ziemlich viel auszudrücken.Die Fifa ist ja immer noch ein reiner Herrenclub, das haben wir bei der Siegerehrung gesehen. Aber Sie haben die Männerwelt mit ihren eigenen Waffen geschlagen. Sie haben im Finale einfach gespielt, wie die deutschen Männer früher auch, als sie noch Turniere gewannen: nicht schön, aber erfolgreich. Dem Gegner spielerisch haushoch unterlegen, aber grandios in der Chancen-Auswertung. Ein echtes Abwehrbollwerk, bestehend aus kernigen deutschen Männern, pardon: Frauen. Bei der Pressekonferenz hinterher haben Sie viel von "Arbeit" und "Kampf" geredet, ganz wie weiland Berti Vogts, als es bei der EM 1996 den letzten Titel für die teutonischen Herren der Schöpfung gab.Was mich nur ein bisschen gewundert hat: Wo waren denn am Sonntag die Autokorsi und Hupkonzerte? Die Fähnchen am Golf GTI? Die "Public Viewings" und Fan-Meilen in jedem Dörfchen oberhalb von 1000 Einwohnern? Bei uns im Redaktions-Großraumbüro lief, als Nadine Angerer den entscheidenden Elfer aus der rechten unteren Ecke fischte (übrigens ohne Zettel im Stutzen, Mädels brauchen so faule Tricks nicht), ein einziger kleiner Fernseher, und der war stumm geschaltet. Es gab bundesweit neun Millionen Zuschauer, gar nicht schlecht, aber nicht einmal ein Drittel der Quote beim Herren-Halbfinale gegen Italien im letzten Jahr. Und selbst beim Handball, der die Deutschen sonst so interessiert wie Hallenhalma, saßen beim WM-Finale 20 Millionen vor der Glotze. Aber da spielten halt auch Männer. Ich glaube, Frau Neid, da haben Sie noch einiges zu tun bis zur Gleichberechtigung. Oder haben Sie bei der ganzen WM ein einziges Mal im Fernsehen den klassischen Kamera-Umschnitt auf die dekorativen Spielerinnen-Männer gesehen, die sich nutzlos, aber super-gestylt auf der Ehrentribüne lümmeln? Dieter Lintz

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