Mensch…Thierry Henry!

Manchmal blitzt im kleinen Fußball einen winzigen Moment lang das große Schicksal auf. Und der Kick in kurzen Hosen kriegt die Wucht eines griechischen Dramas. So war das bei Ihnen, Monsieur Henry, als Sie in der Verlängerung des entscheidenden WM-Qualifikationsspiels den Ball mit der Hand nicht nur berührten, sondern ihrem Teamkollegen in eleganter und zielgerichteter Bewegung, wenn auch nicht unbedingt regelgerecht, die Vorlage für jenen Treffer lieferten, der Ihren irischen Gegnern den Todesstoß versetzte.

Wir wussten auch vorher, dass die Franzosen eine große Handball-Nation sind - aber bislang galt das nur in der Halle.

Dass Sie wenig Lob für ihre motorische Glanzleistung erhalten haben, hängt mit dem Zeitpunkt und den Umständen zusammen. Hätten Sie ihr gutes Händchen in der, sagen wir, 50. Minute bewiesen, hätte der Gegner womöglich in der verbleibenden Zeit die eine oder andere Chance versemmelt, und jeder hätte gesagt: selber schuld. Wäre es auf den Treffer für die Qualifikation nicht mehr angekommen, hätte vielleicht der eine oder andere sogar leichte Sympathie für ihre "Cleverness" erkennen lassen.

Maradona etwa hat für seine "Hand Gottes" (übrigens damals in der 51. Minute) mindestens so viel augenzwinkernde Zustimmung kassiert wie Kritik. Aber das ging auch gegen England, und wer kann die im Fußball schon leiden.

Sie hingegen, pauvre Thierry, sind über Nacht vom Helden der Nation zum Prügelknaben der Fußballwelt geworden. Aufgrund einer wahrscheinlich reflexhaften Aktion, über die nachzudenken Ihnen nicht einmal ein Sekundenbruchteil blieb.

Und spätestens in dem Moment, wo's passiert war, hatten Sie nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera: die Rübe hinzuhalten, als Betrüger in die Geschichte einzugehen, und dafür nächstes Jahr mit der Grande Nation nach Südafrika zu fahren. Oder den Fairnesspreis fürs Lebenswerk zu kassieren und gleichzeitig daran schuld zu sein, dass alle Franzosen im nächsten Sommer in die Röhre schauen - oder vielleicht sollte man zeitgerechter sagen: in einen Flachbildschirm ohne Trikolore-Trikots.

Wenn der Depp von Schiri wenigstens gefragt hätte! Dann hätte das gute Gewissen zumindest eine kleine Chance gegen den inneren Schweinehund gehabt. Aber so sind Sie der harten Prüfung des Schicksals unterlegen. Wie fast alle Helden, auch schon im griechischen Drama.

Dieter Lintz

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