Mensch, Frank-Walter Steinmeier!

Am Wochenende haben Sie mich ja völlig aus der Fassung gebracht. Ich hatte im Hintergrund den Fernseher laufen, Bericht vom SPD-Parteitag in Hannover, und gleichzeitig war ich dabei, mein Zimmer aufzuräumen.

Ich stand gerade in einem ungünstigen Winkel zum Bildschirm, da traf es mich förmlich ins Mark: Da grölte einer mit den Resten einer heiseren Stimme in kämpferisch-gepresstem Ton was von "Genossinnen und Genossen", von "Kämpfen" und "Siegen", von "Solidarität", "Partei" und "Mitte der Gesellschaft". Mein erster Gedanke war: Mein Gott, wo haben die denn den ollen Schröder wieder ausgegraben? Macht der bei Parteitagen neuerdings Werbung für den Wechsel von der Ölheizung zu russischem Erdgas? Ein flüchtiger Blick auf den Fernseher steigerte die Konfusion noch: Da stand er wirklich, im weißen Hemd ohne Jackett, die Ärmel hochgekrempelt, roter Schlips, die Faust neben dem Mikro geballt, wie damals im Wahlkampf. "Aber grau geworden ist er", dachte ich mir noch. Dann kam die Nahaufnahme und damit das schrille Erwachen: Schröder ist Steinmeier.Vielleicht müsste man eher sagen: Steinmeier ist Schröder. Gibt's da Trainingslager zwecks professioneller Verschröderung? Oder Medikamente, mit denen man die sanfte Diplomatenstimme auf jenen parteitagsgestählten Reibeisen-Sound umstellt, der die "Genossen" so elektrisiert, dass ihnen gar nicht mehr auffällt, wie absurd dieser alte proletarische Begriff gerade aus Ihrem Mund klingt?Das ist geradezu perfekt gemacht. Sie könnten höchstens noch ein paar Schweißtropfen auf Ihre Stirn schminken lassen - natürlich nicht so viele wie bei Kurt Beck, aber ein bisschen Transpiration kann nicht schaden, wenn man den Arbeiterführer in spe mimt. Die Intellektuellen-Brille haben Sie ja bereits weitsichtig gegen ein massenkompatibleres Modell getauscht, auf der EM-Fußball-Tribüne könnten Sie ein bisschen merk-(e)licher jubeln, aber ansonsten sind Sie auf dem rechten Weg. Noch ein paar Monate, dann werden die Sozis Sie mit Glanz und Gloria auf den Kanzlerkandidaten-Schild heben, geblendet von Ihren grandiosen Umfrage-Ergebnissen. Dabei muss man als Außenminister hierzulande schon sturzbetrunken über den roten Teppich stürzen und der First Lady beim Staatsbesuch den Schampus ins Dekolleté gießen, wenn man es vermeiden will, bei den allfälligen Umfragen an der Spitze der Beliebtheits-Skala zu stehen. Sogar damals der - wie hieß er noch, dieser Unauffällige mit der Föhnfrisur - Kimble? nee, so ähnlich…stimmt, Kinkel war's. Also selbst diese Charisma-Schlussleuchte der deutschen Nachkriegs-Politik stand seinerzeit auf Platz Eins der Sympathie-Rangliste. Zumindest, so lange er fern genug der Heimat durch die Welt flog. Mal sehen, wie das bei Ihnen wird, wenn Sie aus den luftigen Gefilden des internationalen Polit-Business in die Niederungen des deutschen Alltagsgeschäfts herabsteigen müssen. Dieter Lintz

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