Mensch... Herr Oettinger

Da haben Sie sich ja aufs Prächtigste ins eigene Knie geschossen. Erst gar keine Entschuldigung, dann eine halbe, allerdings nicht für das, was Sie gesagt haben, sondern dafür, dass die anderen Sie nicht verstanden haben.

Geradezu ein mentaler Opfergang, etwa so konsequent und von stringenter Logik geprägt wie der tapfere Einsatz von Herrn Filbinger als NS-Marinerichter gegen die Nazi-Diktatur. Und zum Schluss dann statt des repräsentativen Benedikt-Besuchs im Vatikan ein angeordneter Canossa-Gang zur CDU-Päpstin in Berlin mit anschließendem schmallippigen Reue-Bekenntnis coram publico. Gratuliere: Sauberer hat sich lange keiner mehr demontiert.Am Anfang haben Sie mir sogar ein bisschen leid getan. Sozusagen kollegiales Mitgefühl von einem, der von Berufs wegen auch gelegentlich Nachrufe verfassen muss. Da kann man schon zwischen die Mühlsteine geraten, wenn einerseits der eiserne Satz gilt "de mortuis nihil nisi bene", andererseits aber der soeben Dahingeschiedene eben nicht nur Gutes auf der Lebens-Agenda hat. Da darf man schon mal ein bisschen schummeln, in Maßen beschönigen und notfalls auch mal was weglassen. Nur die Unwahrheit erzählen sollte man lieber nicht.Vielleicht wollten Sie ja einfach nur nett sein zur Familie Filbinger. Und vielleicht haben Sie ja in den Sechziger und Siebziger Jahren die ganzen Diskussionen nicht mitgekriegt um all die Juristen, Diplomaten, Wirtschaftsbosse, Militärs, die an herausragender Stelle den Nazis gedient haben, aber in Wirklichkeit allesamt klammheimliche Gegner von Adolf und Co. waren. Die ganze deutsche Elite ein Hort des Widerstands gegen die braune Diktatur - nur so perfekt getarnt, dass es leider keiner merkte. Beziehungsweise erst nachher, als es darum ging, sich in der gesellschaftlichen Nomenklatura der Nachkriegszeit wieder oben anzustellen.Man sollte aus dem sicheren Fahrwasser demokratischer Verhältnisse heraus nicht leichtfertig und selbstgerecht über das Verhalten von Menschen in Zeiten einer unmenschlichen Diktatur urteilen. Was ich bei den Filbingers immer so schrecklich fand, war nicht mal so sehr ihr Mitläufertum bei den Nazis, sondern der völlige spätere Mangel an Einsicht. Da hätte doch mal einer sagen können, dass es ihm unendlich leid tut, dass er damals nicht die Kraft aufgebracht hat, tatsächlich - und praktisch - dagegen zu sein. Dass er Angst hatte. Dass ihm die Familie oder der Beruf wichtiger waren. So wie es Ihnen, Herr Oettinger, oder mir in einer ähnlichen Situation vielleicht auch ginge. Nur dass man sich im Nachhinein ein bisschen schämen würde für die eigene, menschliche Schwäche - ich hoffe es zumindest.Der Herr Filbinger hat sich nicht geschämt, der hat gesagt: Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein. Ein strohdummer Satz eines Menschen mit einem erschreckenden Rechtsverständnis. Natürlich durften Sie das als Trauerredner nicht auf seiner Beerdigung sagen. Aber Sie mussten beim besten Willen auch nicht so tun, als hätte er damit noch Recht gehabt. Schön, dass wenigstens Frau Merkel das erkannt hat. Dieter Lintz

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