Was war das für eine sensationelle Entdeckung: Den Schießbefehl an der deutsch-deutschen Grenze hat's tatsächlich gegeben. Ein echter Hammer. Das Problem ist nur, dass niemand außer Egon Krenz das ernsthaft bezweifelt hat. Krenz, Sie erinnern sich sicher noch, das war ja dieser Honecker in Reclam-Ausgabe, der nicht einmal das Massaker am Platz des himmlischen Friedens in Peking mitgekriegt hat, obwohl er fast daneben stand. Der hätte wahrscheinlich auch nach dem 11. September bestritten, dass in Manhattan jemals Zwillingstürme standen.Ansonsten haben in den vergangenen 15 Jahren sämtliche deutschen Gerichte ihre Mauerschützen-Urteile auf die Existenz von Schießbefehlen gegründet. Kein ernstzunehmendes Medium hat die schäbige Praxis jemals in Frage gestellt. Wer ein bisschen rumgoogelt, kommt auf ein Dutzend Dokumentationen, Fernsehspiele und Filme, die sich seit 1989 mit dem Thema beschäftigt haben diverse Fernsehsender drehen derzeit Mehrteiler, Heino Ferch und Veronica Ferres haben sich schon warmgelaufen. Bei dieser Konstellation aufgrund der "Entdeckung" eines längst bekannten Papiers in einem Magdeburger Archiv hinzukriegen, dass die halbe Medienlandschaft so tut, als müsse die deutsche Geschichte neu geschrieben werden: Das war, mit Verlaub, eine PR-technische Meisterleistung, mitten in der Saure-Gurken-Zeit und auch noch pünktlich zum Jahrestag des Mauerbaus. Mir wird nur etwas blümerant, wenn ich mir vorstelle, dass das Schule macht. Stellen Sie sich vor, da soll etwa eine Erinnerungsstätte für Nazi-Verbrechen geschlossen werden. Prompt findet sich in einem Archiv bei Königswusterhausen ein sensationelles Dokument. Ich ahne schon die "Bild"-Schlagzeile: "Schande über Deutschland - Beweis für die Existenz Adolf Hitlers gefunden". Dieter Lintz