Mensch... Usain Bolt!

Kann es sein, dass die Biologen auf Jamaika bei der Kreuzung von Hasen und Menschen weiter fortgeschritten sind als der Rest der Welt? Ihre Konkurrenten beim 100-Meter-Lauf müssen sich jedenfalls vorgekommen sein wie die Igel, als sie beim Blick ganz weit nach vorn zur Ziellinie den gemütlich mit ausgestreckten Armen herumhüpfen Sieger entdeckten, der bequem Zeit gehabt hätte, sich noch umzudrehen und ein Erinnerungsfoto zu schießen.Sie haben das echt clever gemacht, noch rechtzeitig ein Zehntelchen zu verschenken.

Das langt dann für fünf bis zehn Weltrekord-Verbesserungen à jeweils einer Million-Dollar-Prämien und Marktwert-Steigerung. Nicht schlecht für eine Veranstaltung, deren Motto einst lautete, Dabeisein sei alles.

Ich frage mich nur, was Sie beim 200-Meter-Lauf noch machen wollen, um sich zu bremsen. Vielleicht gleich mit einer großen gelb-schwarz-grünen Fahne in der Hand loslaufen? Ein paar Hindernisse aus dem 110-Meter-Hürdenlauf ausleihen? Oder auf der Strecke die Schuhe ausziehen und in die Kamera halten? Da freut sich jedenfalls der Sponsor.

Doch wie geht das alles? Ich bin ja ein hartnäckiger Verfechter der Unschuldsvermutung - zumindest, so lange das Gegenteil nicht bewiesen ist. Und das dauert ja bei 100-Meter-Weltrekordlern und Olympiasiegern in der Regel zwei, drei Jahre. Aber die Frage ist, ob bei Ihnen als Jamaikaner, die Dope bekanntlich mit der Muttermilch aufsaugen, das Doping überhaupt strafbar sein kann. Würde man auf Ihrer schönen Insel untersuchen, was die Bewohner so alles im Blut haben, wäre die Hälfte des Volkes nach mitteleuropäischen Maßstäben hinter Schloss und Riegel.

Allerdings pflegen die dort konsumierten Ingredienzien gemeinhin, wie die Musik von Reggae-Gott Bob Marley dokumentiert, eher zur Verlangsamung denn zur Geschwindigkeitssteigerung zu führen. Man hat Ihnen seitens der Jamaika-Koalition also offensichtlich noch was anderes in den Tee getan - oder wohin auch immer.

Ein bisschen davon hätte vielleicht auch den ZDF-Reportern gut getan, die Sie nach dem Rennen interviewten. Minutenlang überboten sie sich in Spekulationen über Doping-Manipulationen. Um dann in dem Moment, als sie Sie endlich am Mikrofon hatten, kein Wort zu diesem Thema herauszubringen und stattdessen in Lobhudeleien auszubrechen. Eine geradezu olympische Heuchelei.

Dieter Lintz

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