"Meta und Michael schlafen schon"

Berlin · Joachim Gottschalk gehörte zu den erfolgreichsten Schauspielern im "Dritten Reich". Weil er sich von seiner jüdischen Frau nicht trennen wollte, zerstörten die Nazis nicht nur seine Karriere, sondern auch das Leben seiner Frau und seines Sohnes. Der Regisseur Hans Schweikart hat das Drama in einer kurzen Novelle geschildert. Jetzt ist sie zum ersten Mal als Buch erschienen.

 Vermeintliches Familienidyll: eines der wenigen Privatbilder der Familie Gottschalk. Foto: privat

Vermeintliches Familienidyll: eines der wenigen Privatbilder der Familie Gottschalk. Foto: privat

Berlin. Am 5. November 1941 kommt der Schauspieler Joachim Gottschalk spät abends nach der Vorstellung nach Hause. Er gehört zum Ensemble von Eugen Klöpfers Berliner Volksbühne, hat dort in den vergangenen Jahren allerdings nur noch kleine und kleinste Rollen bekommen. Er hätte eine große Karriere machen können, sowohl im Theater als auch beim Film. Dafür hätte er sich allerdings von seiner jüdischen Frau Meta scheiden lassen müssen.
Sie wartet an jenem Abend mit dem Sohn Michael bereits auf ihn. Das Ehepaar hält seine Lage inzwischen für so aussichtslos, dass es zunächst seinem Sohn die Milch mit den Schlaftabletten einflößt und anschließend selbst von dem Gift trinkt. Gottschalk schreibt Abschiedsbriefe; der letzte ist an seine Mutter adressiert: "Meta und Michael schlafen schon." Dann dreht er den Gashahn auf und legt sich neben die beiden.
Als Joachim Gottschalk am nächsten Morgen nicht zur Probe erscheint, auch nicht ans Telefon geht, ruft man bei einem seiner Nachbarn an. Es ist der Schauspieler René Deltgen, gebürtiger Luxemburger, der seinen Freund und Kollegen neben seiner Frau und seinem Sohn findet - vor dem Gasherd in der Küche.
Eine "privilegierte Mischehe"


Die tragische Geschichte von Joachim und Meta Gottschalk hat ein anderer Freund noch in den letzten Kriegsjahren festgehalten: Der Regisseur Hans Schweikart (1895 - 1975), der einige Filme mit Gottschalk gedreht hat, nennt seine Niederschrift "Es wird schon nicht so schlimm!".
Joachim Gottschalk und Meta Wolff heißen hier Lilly Hollmann und Gregor Maurer, man lernt sie während eines Urlaubs kennen, den sie in den Bergen verbringen. Es ist ein merkwürdiges Büchlein: eine Mischung aus Novelle, Filmexposé, Drehbuch, Bühnendialog und Regieanweisungen. Auf sechzig Seiten zeichnet es das Schicksal der Betroffenen von 1933 bis 1941 nach und bleibt dabei trotz literarischer Verfremdungen ziemlich nahe am Leben der Gottschalks. Was zuvor geschah: Joachim Gottschalk, 1904 in der Nähe von Cottbus geboren, kommt nach nur einjähriger Schauspielausbildung Ende der 1920er Jahre ans Stuttgarter Theater, wo er Meta Wolff kennenlernt, die aus dem saarländischen Dudweiler stammt. 1931 heiraten sie; im deutschen Unheilsjahr 1933 wird ihr Sohn Michael geboren und Gottschalk von Volksbühnen-Intendant Eugen Klöpfer nach Berlin geholt. Meta Gottschalk lebt zwar in einer "privilegierten Mischehe", muss ihre Karriere aber aufgeben.
Schon bald wird ihrem Mann nahegelegt, sich von seiner Frau zu trennen, was er entschieden ablehnt. Kollegen raten ihm, in die Schweiz zu gehen. Brigitte Horney setzt sich für ihn beim Leiter des Zürcher Schauspielhauses ein. Oskar Wälterlin würde ihn sofort engagieren - bei ihm haben schon Therese Giehse, Heinz Paryla, Leopold Lindtberg und andere jüdische oder "jüdisch versippte" Künstler Unterschlupf gefunden. Aber Gottschalk lehnt ab: In seinem grenzenlosen Pessimismus ist er davon überzeugt, dass Hitler früher oder später auch die Schweiz erobern wird. Er ist entschlossen, in Berlin zu bleiben. Hier kennt und liebt ihn das Publikum.
Sein Freund und Kollege Gustav Knuth redet mit Gustaf Gründgens. Der schillernde Intendant des Staatlichen Schauspielhauses und Preußischer Staatsrat von Görings Gnaden hat Einfluss, er kann mit den Teufeln gut Kirschen essen. Auch er würde Gottschalk sofort unter seine Fittiche nehmen, aber wieder zögert der Schauspieler zu lange. Goebbels bekommt Wind von den Plänen und vereitelt sie, indem er dem rückgratschwachen Klöpfer verbietet, Gottschalk aus seinem Vertrag zu entlassen.
Meta Gottschalk darf sich inzwischen nicht mehr in der Öffentlichkeit sehen lassen. Zu den Kinopremieren ihres Mannes kommt sie erst, wenn das Licht im Saal ausgegangen ist; ins Theater traut sie sich gar nicht mehr. In einem Anfall von Trotz nimmt Gottschalk sie einmal mit zu einer Premierenfeier. Es ist der Anfang vom Ende - von Gottschalks Karriere und letztlich dem Leben seiner Familie.
Sentimentalität als Schmiermittel


Kurt Maetzig hat aus Schweikarts Novelle seinen ersten Defa-Spielfilm gemacht. "Ehe im Schatten" wird am 4. Oktober 1947 noch in allen vier Sektoren des besetzten Berlin gleichzeitig uraufgeführt. "Die große emotionale Erschütterung, die sein Melodram auslöste, begegnete dem Selbstmitleid, dem viele Deutsche sich ergeben hatten", schreibt Wolfgang Gersch in seinem Essay "Film in der DDR". Bertolt Brecht findet den Film "sentimental"; aber gerade das ist vielleicht das Schmiermittel, das die Deutschen zwei Jahre nach Kriegsende ins Kino lockt, um mit Tatsachen konfrontiert zu werden, vor denen sie kurz zuvor noch die Augen geschlossen hielten.
Hans Schweikart, der bereits ab 1923 überwiegend am Theater arbeitete und 1947 Intendant der Münchner Kammerspiele wurde, musste sich 1946 einem Spruchkammerverfahren zur Entnazifierung unterziehen. In diesem Zusammenhang kommt auch "Es wird schon nicht so schlimm!" zur Sprache. Er erläutert: "Ich habe versucht, die Motive, die viele von uns Künstlern und Schriftstellern veranlassten, in Deutschland zu bleiben, in einem Filmmanuskript aufzuzeigen, das ich nach dem tragischen Tod meines Freundes Joachim Gottschalk im Jahre \'42 begonnen und jetzt fertiggestellt habe."
Knapp 70 Jahre später ist es nun erstmals als Buch erschienen - mit einem erläuternden Essay, der fast die Hälfte der 120 Seiten einnimmt. "Es wird schon nicht so schlimm" ist ein winziger Puzzlestein in einem gigantischen Mosaik des Grauens, das in seiner ganzen Unmenschlichkeit am ehesten in solcher Kleinteiligkeit zu greifen, wenn auch kaum zu begreifen ist.

Hans Schweikart, "Es wird schon nicht so schlimm", hrsg. von Carsten Ramm, mit einem Nachwort von Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen, Verbrecher Verlag Berlin 2014, 120 Seiten, 12 Euro.

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