Mit 75 Jahren, da fängt das Leben an

Der griechische Wein floss in Strömen, die ausverkaufte Arena wurde zum ehrenwerten Haus mit 7000 begeisterten Bewohnern und die Stadt Trier zum Platz an der Sonne - aber bitte mit Sahne. Das Phänomen Udo Jürgens riss alle mit.

 Udo Jürgens überzeugte in der Arena Trier am Klavier und auf der großen Leinwand. TV-Foto: Friedemann Vetter

Udo Jürgens überzeugte in der Arena Trier am Klavier und auf der großen Leinwand. TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. "Drum erwarte dir nicht zu viel von mir, denn ich bin doch nur einfach ich." Wie nahe diese Zeilen vom neuen Album "Einfach ich" an der wahren Selbsteinschätzung eines Mannes liegen, der 100 Millionen Tonträger verkauft hat, wissen wohl nur die wenigen, die den Menschen Udo Jürgens wirklich kennen. Doch die unzähligen Fans und Bewunderer, die zwar nicht den Menschen, aber doch den Künstler erleben dürfen, steuern natürlich mit großen, sogar mit gigantischen Erwartungen auf einen Abend mit ihm zu. Udo Jürgens feierte seinen großen Durchbruch als Sänger, als er mit "Merci Cherie" den Grand Prix d'Eurovision de la Chanson in Luxemburg gewann - vor unvorstellbaren 43 Jahren. Seitdem hat er Lieder geschrieben, die den gebürtigen Österreicher in den Augen vieler Menschen zum besten deutschsprachigen Chansonnier aller Zeiten machen. Da muss man sich über große Erwartungen nicht wundern.

Aber halt, spricht der Skeptiker. Der Mann ist 75 Jahre alt. 75! Lasst uns seine Lieder auf CD hören, alte Konzertmitschnitte auf dem Bildschirm ansehen, seine Lebensleistung in Ehren halten. Aber zwingen wir ihn doch bitte nicht mehr auf die Bühne. Sollte es am Samstagabend in der Arena einen solchen Skeptiker gegeben haben, so ging er in der Masse rasend begeisterter Menschen völlig unter. Udo Jürgens und die ebenfalls großartigen Musiker und Solisten des Orchesters Pepe Lienhard boten einen Showabend mit musikalischer und emotionaler Intensität.

Um einen solchen Abend zustande zu bringen, bedarf es mehrerer Elemente. Nummer eins: der Künstler selbst. Udo Jürgens ist mit einer Differenz zwischen seinem biologischen Alter und seiner Ausstrahlung gesegnet wie sonst nur wenige als ewig jung geltende Gestalten. Thomas Gottschalk vielleicht noch, aber der kann nicht singen. Jürgens kann es in Trier, die Stimme war da und band leicht die Aufmerksamkeit von Tausenden. Er legte Tanzschritte ein, dirigierte das Orchester und plauderte mit seinem Publikum. "Heute auf den Tag vor 20 Jahren habe ich in der Europahalle gespielt", sagte er, und Trier jubelte. Als er vom Open Air auf dem Domfreihof im Juni 2005 erzählte, hüpften gestandene Leistungsträger aus Politik und Wirtschaft im Publikum auf und ab, um zu signalisieren, dass sie damals auch dabei waren.

Neue Lieder mit bekannten Themen



Nummer zwei: die Struktur der Show. Udo Jürgens und das Orchester Pepe Lienhard spielten vor einer großen Leinwand, hinter der ein exzellenter Bildregisseur seine Fäden zog. Die Kamera fing schöne Bilder vom Orchester und den Solisten ein, näherte sich immer mal wieder den beiden gut aussehenden Background-Sängerinnen, zeigte über die Tasten des Schimmel-Flügels gleitende Finger und natürlich das Gesicht des Hauptdarstellers in Großaufnahme. Dieser hielt das locker aus. Sein Gesicht vertrug diese ebenso eindrucksvollen wie schonungslosen Aufnahmen problemlos, auch als die Anstrengungen sichtbar wurden.

Nummer drei: die Songs. Die erste Hälfte des nur von einer kurzen Pause unterbrochenen fast dreistündigen Konzerts widmete Udo Jürgens neueren Liedern mit bekannten Themen. Große Gefühle, kleine Beziehungskisten, ironische Beobachtungen wie "Vernetzt", Appelle an Vernunft und Menschlichkeit und auch immer wieder der Blick auf sich selbst. "Ich habe genau wie du meine Karte am Eingang bezahlt."

Nach der Pause brechen alle Dämme



Doch in der zweiten Hälfte brachen alle Dämme. Das Publikum erhob sich nicht nur von den Sitzen, sondern verließ sie ganz und stürmte vor die Bühne. Ein Udo Jürgens braucht mehrere Medleys, um zumindest eine vertretbare Auswahl seiner großen Hits zu spielen. Die meisten waren dabei. Der eindeutige Höhepunkt des Abends war jedoch zweifellos "Ich war noch niemals in New York", in dessen Mitte er seine drei Background-Sänger nach vorne schickte, um mit Kurzfassungen von Frank Sinatras "New York New York" und Petula Clarks "Downtown" den Traum des Mannes, der sich einen Ausbruch aus seinen bürgerlichen Zwängen wünscht, auch musikalisch zu definieren - einfach schön.

Die obligatorischen Zugaben im Bademantel und ein auf die Bühne stürmendes kleines Mädchen, das den Star dank eines in diesem Business nicht selbstverständlichen Fingerspitzengefühls der Sicherheitskräfte einmal drücken durfte, beendeten einen starken und schönen Abend. Gut so, Udo! Mit 75 Jahren, da fängt das Leben an.

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