Mit Elvis an der Fischtheke

TRIER. Die Kunden nehmen sie kaum wahr, die Geschäfte wollen mit ihrer Hilfe Atmosphäre schaffen, wo eigentlich keine ist: Tagtäglich berieselt Kaufhausmusik den Einkauf von Menschen auf der ganzen Welt.

"Oh Nikita you will never know anything about my home. I'll never know, how good it feels to hold you-ou-ou Nikita I need you so" Für Elton John war es einer seiner größten Hits, das Lied über "Nikita", der russischen Grenzwächterin, die er nie umarmen konnte (…how good it feels to hold you) und die ihrerseits nie die Welt außerhalb der Sowjetunion sehen durfte (...you will never know anything about my home) . Wirklich traurig, denn er vermisste sie so sehr (Nikita I need you so). Wer Nikita hört, denkt sofort an Sozialismus, Kalter Krieg und Eiserner Vorhang. Oder an Einkaufswagen, Tiefkühltheke und Baumarkt. Denn die Sowjetunion gibt's nicht mehr, Nikita ist arbeitslos, Elton John hat sich als homosexuell geoutet und das einzige, was an die tragische Beziehung der beiden erinnert, ist der letzte Einkauf.Millisekunden entscheiden

"Wenn ich in einen Raum komme, entscheiden Millisekunden darüber, ob ich ihn als angenehm oder unangenehm empfinde", sagt Michael Hartmann, und dabei spiele nicht nur die Optik eine Rolle, sondern auch Geruch und Geräusche. Hartmann ist Mitglied der Geschäftsleitung von "Muzak funktionelle Musik", der deutschen Abteilung von "Muzak Cooperation". Muzak ist der weltweit größte Radiosender - ein Sender, von dem die meisten Hörer gar nicht wissen, dass es ihn gibt. Denn wer Muzaks funktionelle Musik hört, tut dies meist unbewusst, schaufelt sich dabei durch Wühltische, sucht nach Salatwürze oder lässt sich für 4,89 Euro das Kilo Schweinehack durch den Fleischwolf drehen. Funktionelle Musik ist also Kaufhausmusik. "Nein", sagt Hartmann, "keine Kaufhausmusik, sondern Musik, die Atmosphäre schafft." Nikita, Barbra Streisand und Phil Collins in Ehren - doch wie schaffen sie Atmosphäre in der Metro-Fischabteilung? In dem sie sich zurückhalten. "Wichtig ist, wie die Lautsprecher verteilt sind", sagt Hartmann, und das solle möglichst gleichmäßig sein, "im Hintergrund". Am besten so, dass die Klangquelle nicht identifizierbar ist, empfehlen Experten, bei einer Deckenhöhe von 2,50 Meter ungefähr einer pro 25 Quadratmeter. Die Lautstärke sollte ungefähr drei Dezibel über dem allgemeinen Geräuschpegel liegen und als Grundlage für das Tempo zählt der menschliche Puls. Aha. Wer sich so viel Mühe gibt, Atmosphäre zu kreieren, verfolgt damit noch etwas anderes: Mehr Umsatz. Dass das eine mit dem anderen zusammen hängt, behaupten einige Anbieter funktioneller, hintergründiger Kaufhausmusik, wenngleich es mit empirisch wissenschaftlichen Methoden nicht belegbar ist.Nachrichten über BSE zum Mittagessen

Ein "Radioformat, das Musik, Moderationen und Werbung direkt am Ort der Kaufentscheidung ausstrahlt", versichert Pos-Radio auf seiner Homepage und löst dieses Versprechen via Satellit tagtäglich bei über 8000 Unternehmen in Deutschland ein. Die Kunden können wie bei Muzak zwischen verschiedenen Programmen wählen und empfangen dann mit Hilfe spezieller Receiver entweder einen Mix aus ruhigen Popballaden oder aber aktuelle Hits. Ob sich der Kunde beim Griff ins Spirituosen-Regal von Britney Spears oder aber von Joe Cocker inspirieren lässt, entscheidet der Kanal. "Wir liefern ein vollwertiges Radioprogramm", sagt Pos-Mitarbeiterin Claudia Saurer, "mit Musik, Moderatoren und Nachrichten." Maximal drei Minuten pro Stunde werde gesprochen, der Rest seien Lieder. Außer den Nachrichten gebe es noch nützliche Verbraucher-Tipps, sagt Saurer, "zum Beispiel wie man aus Avocados Öl gewinnt oder wie man Töpfe am schnellsten sauber bekommt". Warum dann nicht einfach das "ganz normale" Radio einschalten? - "Dann müssen die Geschäfte Rundfunkgebühr bezahlen", sagt Hartmann, "für jeden Lautsprecher." Außerdem sei es für den Umsatz nicht unbedingt förderlich, wenn im eigenen Laden die Konkurrenz über Lautsprecher wirbt. "Diejenigen, die so etwas tun, haben keine Ahnung von ihrem Geschäft", meint der Muzak-Geschäftfsührer. Überhaupt gebe es in seinen Programmen, mit denen auch Hotels oder Krankenhäuser versorgt werden, nur Musik. Beim Mittagessen im Restaurant Nachrichten über die Schweinepest zu hören, empfindet Hartmann als eher unpassend. Manchmal ist es unpassend. Auch bei Nikita. In der Obstabteilung vor frischen Bananen oder im Gang mit den Feuchttüchern ist Eltons tragische Liebe akzeptabel, aber im Baumarkt hat Nikita nun wirklich nichts verloren. Obwohl: Eigentlich ist Nikita ja ein Männername. Ihre Meinung in Kürze? Was halten Sie von "Kaufhausmusik"? Ihre Mail kann nur veröffentlicht werden, wenn uns Name und Anschrift vorliegen.

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