Mit dem Fäustel zu innerer Kraft

WEISSENSEIFEN. Zum 31. Mal treffen sich in diesen Tagen etablierte Künstler und Laien zum Symposion in Weißenseifen. Im Eifelwald bei Mürlenbach üben sie sich in mehreren Disziplinen und denken dabei über den eigenen Anspruch nach.

Typisch Weißenseifen. Wer sich im Sommer der Künstlersiedlung nähert, hört es schon von weither: dumpfes Klopfen und feines Hämmern, spitzes Ticken und rhythmisches Pochen. Trotzdem bleibt die angestammte Stille dem Eifelwald erhalten, irgendwie; keiner kann es erklären, es ist einfach so. An diesem Tag möchte auch ich einen Schimmer erhaschen von der geheimnisvollen Atmosphäre und dem künstlerischen Drang, der die Weißenseifener Symposionisten seit 1974 beseelt - wohl wissend, dass (meine) eigene Kreativität und handwerkliches Geschick schnell in grenzwertigen Bereichen zu versiegen drohen.Fäustelschläge und Kreativität

"Niedere Arbeiten fallen immer an", tröstet mich mein alter Weggefährte Seep Jakobs mit breitem Schmunzeln. Schnell hat mich der Schönecker Schriftsteller an die Kollegin Bärbel Busch verwiesen. Die Aktionskünstlerin aus Schwollen bearbeitet gerade einen kantigen Sandstein, der in ein paar Tagen als Kugel die Runde machen soll. Und weil Bärbel Küchendienst verrichten muss, lässt sie mich ran, denn der Zeitpunkt ist günstig: In früher Schaffensphase kann man nicht allzu viel zerstören - eine Feststellung, die den Hilfssymposionisten in mir wenigstens für ein paar hundert Fäustelschläge mit kreativer Willenskraft ausstaffiert. Titus Lerner hat auch in diesem Jahr die künstlerische Leitung der Kult-Veranstaltung übernommen. Er kümmert sich um die 25 Stein- und Holzbildhauer, um die Maler, Plastizierer und Zeichner, die aus der Region Trier und weit darüber hinaus nach Weißenseifen geeilt sind, wo immer noch der Geist des bisweilen grummelnden Gründers Albrecht Klauer-Simonis allgegenwärtig ist und feine Spuren zieht. Von Seep Jakobs weiß ich, dass AKS in den Anfangsjahren von den Teilnehmern ausnahmslos Steinbildhauerei erwartet hat - vielleicht würde er sich freuen, mich hier und heute schwitzen zu sehen, denke ich. Derweil ruft der dumpfe Klang der Siedlungsglocke die Künstler zur Besprechung in die Galerie am Pi. Thema heute: "Die Organisation und Strukturierung eines Kunstwerks." Auch ich lege Fäustel und Meißel beiseite, trotte mit, bereits ziemlich verstaubt und schon leicht gebückt. Die Arme sind schwer, der Rücken schmerzt. Im Stuhlkreis spricht Titus Lerner über den "normalen Frust" und die "übliche Polarisierung", die den Künstler bei seiner Arbeit überkommen, ja überkommen müssen. Warnend rät der Experte, seine eigenen Ansprüche schon zu Beginn der Schaffensphase gründlich zu überprüfen.Künstlerische Freiheit ist wichtig

"Das sind gedankliche Vorspiele und Gewissenserforschung", lehrt Lerner, und gibt mit Blick auf die Unerfahrenen gleich Entwarnung: "Man wird hier später nicht zur Rechenschaft gezogen. Diese Freiheit kann man nicht hoch genug einschätzen." Breiten Raum nimmt indes das Thema "dozentuale Präsenz des Leitenden" ein, wie es Jean-Marie Weber in der ihm eigenen Art treffend formuliert. Also: Wieviel schafft der Künstler selbst? Wieviel nimmt ihm der Fachmann ab? Schnell ist man sich einig, am liebsten mit dem eigenen Werk den Heimweg antreten zu wollen. An anderen Orten kreativer Meißelschläge oder kunstvoller Pinselstriche scheint dies wohl nicht immer der Fall zu sein.Zum Schluss: kritische Prüfung

Gleichwohl holt mich die Skepsis dozentualer Präsenz gegen Abend ein. Schweigend mustert Bärbel Busch ihren Stein, den ich am Nachmittag für sie quälen durfte. Sie dreht das "Werk", prüft die Linien und denkt vermutlich über Zentrierung und Balance nach, die allmählich auf dem Spiel stehen. "Wäre es für dich okay, wenn ich nun…?", fragt die Künstlerin, um mich trotzdem nicht ohne Lob zu entlassen: "Hast ganz schön was geschafft." Befreit von der Verantwortung und abseits all der inneren Widerstände, denen auch ich mich ausgesetzt sah, bedanke ich mich für ihr Vertrauen und trete mit erforschtem Gewissen den Heimweg an - sicher, dass es nicht das letzte Mal gewesen sein soll.

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