Mitten aus dem Leben

Shakespeares Tragödie als brandaktuelles Jugendstück: Diesen Weg geht Gerhard Weber in seiner Trierer Neuproduktion von "Romeo und Julia" konsequent und konzentriert. Das Ergebnis ist ein temporeicher, neue Blickfelder öffnender Theaterabend.

 Frenetisch bejubelt für ihren Auftritt: Romeo (Jan Brunhoeber) und Julia (Antje Härle). TV-Foto: Friedemann Vetter

Frenetisch bejubelt für ihren Auftritt: Romeo (Jan Brunhoeber) und Julia (Antje Härle). TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. Ach, wie oft hat man die Balkonszene zwischen Romeo und Julia schon als entrückten Schmachtfetzen gesehen. Als ob die erste Begegnung mit der Liebe etwas wäre, was nur im klassischen Schauspiel passiert, in gehobenen literarischen Gefilden.

Diesmal ist das anders. So wunderbar alltäglich sprechen Antje Härle und Jan Brunhoeber, dass die Situation ganz nah an die Menschen rückt. Und zwar, und das ist das Kunststück, ohne trivial zu wirken. Julia, die kecke Braut, die mit Erstaunen konstatiert, wie die Liebe sie förmlich überfallen hat. Und die vom ersten Moment an weiß, dass sie sich von niemandem daran hindern lassen wird. Romeo, der überschwengliche Romantiker, der vor lauter Glück nicht weiß, was er mit seinen langen Armen und Beinen anfangen soll. Und wie er seinen Sauf-Kumpanen beibringen kann, dass sie künftig nur noch die zweite Geige spielen.

Nie ist Regisseur Gerhard Weber näher an seinem Ziel, Shakespeares vier Jahrhunderte altes Stück auf seine Gegenwartsbezüge zu untersuchen, als bei seinem Protagonisten-Paar. Dabei bietet er einiges auf, um aktuelle Jugendkultur auf der Bühne zu zelebrieren: Rap, Bierdosen, Joints, Hooligans, ausgestreckte Mittelfinger. Das könnte leicht ins Anbiedernde geraten, aber Weber begegnet dieser Gefahr, indem er solche Stil-Elemente strikt auf jene Szenen konzentriert, in denen auch Shakespeare die Rituale Jugendlicher beschreibt.

Was die Produktion dabei etwas unterschätzt: Auch das Rappen ist eine Kunstform, die der Beherrschung bedarf. Der einzige, der das bühnentauglich kann, ist Tim Olrik Stönebergs Tybalt - bei den meisten anderen wie auch in den Ensemble-Szenen gerät der Rap zu einem mühsam ins Metrum gezwängten, kaum verständlichen Sprachmatsch. Aber es geht der Regie offenkundig auch mehr darum, ein Identifikations-Angebot für jüngere Zuschauer zu schaffen. Ein legitimes Anliegen, auch wenn es manchen der Premieren-Abonnenten irritiert. Dass jugendliche Zuschauer die ästhetischen Gewohnheiten älterer Generationen akzeptieren, wird im Theater für selbstverständlich gehalten. Warum dann nicht auch mal umgekehrt?

Aber die Aufführung bietet auch demjenigen genügend Glücksfälle, der sich mit rappenden Capulets, auf Sofa-Fahrstühlen zweckfrei in die Höhe schwebenden Montagus und zum falschen Zeitpunkt die Handlung aufhaltenden Kampfszenen nicht anfreunden kann. Da ist, vor allem anderen, die grandiose Übersetzung von Frank Günther, der nicht umsonst die Schlegel-Gastprofessur an der FU Berlin inne hat: Ein moderner Shakespeare, aber weit weg vom modischen Jugendslang, eine Sprache, die die Derbheiten, Zweideutigkeiten, Wortspielereien des Dichters kongenial in unsere heutige Sprachwelt übersetzt. Und Gerhard Weber nutzt die Vorlage zu einem gelungen Spiel mit Ernst und Ironie, mit Doppelsinn und Hintergründigkeit. Beispielhaft gelungen an der Figur der Amme, von Barbara Ullmann bravourös als Italo-Schlampe auf die Bühne gebracht. Nicht nur da traut man sich, das Komische dieser Tragödie kraftvoll auszuspielen, auch bei Romeos Kumpels Mercutio (Jens Koch) und Benvolio (Paul Steinbach) geht es deftig-skurril zu.

Noch ein Volltreffer: Das schnörkellose, die romantische Verona-Kulisse auf einige Modellzeichnungen reduzierende Bühnenbild von Bettina Munzer, das sich auf das Notwendige beschränkt, dem aber nicht das Geringste fehlt. Ein Holz-Rondell, das enorm schnelle Szenenwechsel erlaubt und damit einen temporeichen Ablauf ermöglicht.

Die innere Sichtweise des Stückes entspricht der Perspektive der jugendlichen Akteure - da ist Weber Partei, auch das durchaus im Sinne Shakespeares. Die Gewalt der Jungen ist Resultat des gewalttätigen Zynismus (Peter Singer als Capulet) oder des Desinteresses (Manfred-Paul Hänig als Montagu) der Alten. Und der einzige, der zu vermitteln versucht (Klaus-Michael Nix als Bruder Lorenzo), verursacht am Ende die Katastrophe. Da ist es nur konsequent, wenn die Regie den versöhnlichen Schluss verweigert. "Krieg" lautet in Trier das letzte Wort. Der anschließende Beifall des Publikums ist freundlich für die Akteure (in weiteren Rollen: Angelika Schmid, Hans-Peter Leu, Alexander Ourth), verdientermaßen frenetisch für Härle, Brunhoeber und Ullmann, eher zurückhaltend für die Regie. Das ist ein Preis, den man schon mal zahlen muss, wenn man neue Wege geht.

UMfrage

Stimmen zum Schauspiel

Samira Khaledi, Trier: "Modern gemacht, hat mir eigentlich auch gut gefallen, blieb aber schwierig. Etwas völlig Neues zum Bekannten. Die Anknüpfung an die Jugend war ganz gut. Fraglich, ob das mehr junge Zuschauer lockt." Linda Backhaus, Longuich: "Im ersten Teil gewöhnungsbedürftig. Die Rap-Einlagen haben dem Stück die Tragik genommen. Schauspielerisch bin ich begeistert. Auch klassische Stilelemente waren noch dabei." Andreas Weiler, Trier: "Wir haben uns bestens unterhalten. Die Inszenierung gelungen. Vielleicht an manchen Stellen zu übertrieben. Sehr spaßig. Das Stück ist ohne viel Brimborium an Kulisse und Kostümen ausgekommen. Fesselnde Dialoge. Ein Grund, öfter ins Theater zu gehen." Thomas Mainzer, Welschbillig: "Eine Inszenierung, die modern war und nicht verstaubt. Daher auch sehr gut der Jugend zu empfehlen. Ich gehe dann ins Theater, wenn ich glaube, dass es sich lohnt. Heute hat es sich auf jeden Fall gelohnt." Umfrage/TV-Fotos (4): Ludwig Hoff

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort