Musik gegen Verfolgung und Vergessen

Sie ist nicht nur eine weltberühmte Geigerin. Mit ihrem brillanten Spiel kämpft Jenny Abel gegen Rassismus, gegen das Vergessen und für mehr Demokratie. In Wittlich wird das vielbeachtete "Requiem für Kaza Kathárinna" aufgeführt. Die Geigerin Jenny Abel im TV-Gespräch.

 Die Geigerin Jenny Abel tritt beim Mosel Musikfestival in der Wittlicher Synagoge auf. TV-Foto: Eva-Maria Reuther

Die Geigerin Jenny Abel tritt beim Mosel Musikfestival in der Wittlicher Synagoge auf. TV-Foto: Eva-Maria Reuther

Wittlich. (er) Der bei Karlsruhe lebende "Anti-Star", der mit allen großen Orchestern dieser Zeit gespielt hat, ist dieses Jahr wieder im Rahmen des Mosel Musikfestivals in der Wittlicher Synagoge zu hören. Im "Requiem für Kaza Kathárinna", das der Komponist Gerhard Rosenfeld der Künstlerin widmete, ergreift ihre Violine Partei für alle verfolgten, ausgegrenzten und ermordeten Zigeuner. Über das Stück sprach die Geigerin vorab mit dem Trierischen Volksfreund. Die Fragen stellte Eva-Maria Reuther. Was ist Ihnen an diesem Requiem so wichtig? Abel: Musikalisch ist es als Wortproduktion bedeutend, und natürlich ist auch die politische Botschaft darin hochwichtig. Ich finde das Stück angesichts der aktuellen Rechtstendenzen in Deutschland aktueller denn je. Wir müssten das Requiem noch viel öfter spielen. Hat es einen besonderen Grund, dass Sie sich für Sinti und Roma engagieren?Abel: Ja, wie Sie wissen, entsteht in Berlin erst jetzt ein Denkmal für die im Dritten Reich ermordeten Sinti und Roma. Dieses Denkmal haben in wörtlicher und musikalischer Form Anita Geigges und Gerhard Rosenfeld mit ihrem Requiem schon lange vorher geschaffen. Damals gab es überhaupt kein Werk für diese Gruppe Menschen, die ja weltweit viele Millionen Mitglieder zählt. Anita Geigges war als Schriftstellerin und aufführende Künstlerin Spezialistin für dieses Thema. Gerhard Rosenfeld hatte immer die Idee zu diesem Stück, aber keine Autorin. Da ich beide kannte, habe ich sie zusammengebracht. Die Botschaft, der Aufruf gegen Rassismus, Vergessen und für mehr Demokratie, geht natürlich über das geschilderte Schicksal hinaus.Worin liegt für Sie der musikalische Reiz der Komposition?Abel: Dass es ein Stück neuzeitlicher Kammermusik ist, allerdings nicht sehr modern in der Tonsprache. Es gibt viele melodiöse, sogar gefällige Elemente darin. Diese neuzeitliche Kammermusik wird der originalen zigeunerischen Folklore gegenübergestellt. Die Geige spielt in der"klassischen" Kunst wie in der Volkskunst eine ganz große Rolle. Sind Sie so etwas wie eine Grenzgängerin zwischen Folklore und Klassik?Abel: In der Zigeunermusik ist die Geige tatsächlich ein "Muss". Die anderen Instrumente können variieren. Ich selbst bin eine klassisch ausgebildete Geigerin, die auch die klassische Musik der Neuzeit spielt. Das Interesse, das ich an der Folklore habe, macht mich natürlich zur Grenzgängerin. Ich habe ja jahrelang mit dem Zigeuner-Primas Schnuckenack Reinhardt zusammengearbeitet. Nur mache ich selbst keine Folklore. Unser Stück ist eine Gegenüberstellung aus Klassik und Folklore. Die Synthese daraus muss sich beim Zuhörer vollziehen.Ein musikalisches Denkmal für unaussprechliches Leid und Grauen zu errichten — ist das ästhetisch nicht ein enormer Balanceakt?Abel: "Balanceakt" finde ich sehr gelungen. Die überwiegende Mehrheit der vielen Zuhörer ist einfach überwältigt, dass so etwas möglich ist. In diesem Stück teilt sich emotional ungeheuer viel mit, nicht zuletzt wegen der bewegenden Schönheit der Musik.Glauben Sie, dass sich ein Schicksal wie das von Kaza Kathárinna hierzulande wiederholen kann?Abel: Ich hoffe es nicht. Der Teil ihres Lebens, der nach dem Krieg stattfand, wiederholt sich für Sinti und Roma allerdings bis heute ständig. Es geht vielen Angehörigen dieses Volkes nicht besser als Kaza Kathárin-na. Da ist noch viel zu tun, vor allem an Bewusstseinsbildung.Sie treten in Wittlich in einer ehemaligen Synagoge auf. Was bewegt sie dabei?Abel: Generell bewegen mich Synagogen sehr. Ich finde die Ortswahl des Mosel Musikfestivals sehr gut. Der Bau ist sehr würdig und als Symbol ausgesprochen passend.Aufführung: 15. Juni, 17 Uhr, Synagoge Wittlich, Einführungsvortrag am 15. Juni um 15.30 Uhr in der Synagoge Wittlich, Referenten Prof. Dr. Herbert Uerlings und Dr. Julia-Karin Patrut.Karten sind erhältlich in den TV-Pressecentern Trier, Bitburg und Wittlich. Extra "Requiem für Kaza Kathárinna" ist eine Komposition für ein klassisches Kammerensemble aus Mezzosopran, Harfe und Schlagzeug sowie einer Geige und einer Sprecherin. Ihnen steht ein Sinti- und Roma-Ensemble gegenüber. In seinem Requiem ( Text: Anita Geigges) schildert der Komponist Gerhard Rosenfeld (1931 - 2003) das Schicksal der Zigeunerin Kaza Kathárinna, die, 1908 in Norddeutschland geboren, im Dritten Reich nach Ausschwitz verschleppt wird. Fast ihre ganze Familie wird dort ermordet. Kaza überlebt. Allein die Befreiung bedeutet nicht das Ende von Schikanen und Diskriminierung, wie sie nach dem Krieg bitter erfahren muss. Neben Jenny Abel sind unter den Wittlicher Interpreten die international gefragte Harfinistin Alice Gilles und die Sopranistin Christina Ascher zu hören. Den Folklore-Part spielt das Sannino-Reinhardt-Quintett, das aus Nachfahren des legendären Schnuckenack besteht.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort