Musik statt Rabatz

Dass gemeinsames Musizieren das Sozialverhalten, den Horizont und die Lernbereitschaft von Kindern positiv beeinflusst, gilt in der Wissenschaft schon lange als ausgemacht. In einer Grundschule in Trier-West versucht ein langfristig angelegtes Projekt, diese Annahme in der Praxis zu testen. Mit erstaunlichem Erfolg.

 Gesangs-Übung zum Aufwärmen: Lehrerin Gisela Bitdinger und Schüler der 3. Klasse der Grundschule Trier-West. TV-Foto: Dieter Lintz

Gesangs-Übung zum Aufwärmen: Lehrerin Gisela Bitdinger und Schüler der 3. Klasse der Grundschule Trier-West. TV-Foto: Dieter Lintz

Trier. Selbst wenn Svenja auf der ersten Stufe ihres Trip-Trap-Stuhls steht, ist sie nicht annähernd so groß wie ihr Kontrabass. Auch die größeren Jungs wie Brian und Christoffer müssen sich fast auf die Zehenspitzen stellen, wenn sie ihr braun glänzendes Instrument bedienen. Kein leichter Job. Da bringt man schon mal leicht links und rechts durcheinander, wie Sebastian, der den Bogen in der falschen Hand hält.Mal sanft, mal lautstark korrigieren Barbara Konder und Elisabeth Krüger die Fehler ihrer kleinen Schützlinge. Die beiden Gast-Lehrerinnen von der Trierer Musikschule kämpfen bisweilen gegen den anschwellenden Lautstärkepegel, aber unterm Strich sind die Drittklässler aus der Grundschule Reichertsberg erstaunlich aufmerksam. Wenn nicht, gibt's schon mal einen Straf-Strich an der Tafel. Und dann ist man am Ende nicht dabei, wenn jeder halbwegs Brave zur Belohnung in die kleine Geschenke-Kiste greifen darf.Was da in Trier-West passiert, ist alles andere als alltäglich. Seit der ersten Klasse werden die Schüler im Rahmen eines Projekts der Trierer Musikschule und der Nikolaus-Koch-Stiftung musikalisch ausgebildet. Mit Orff-Trommeln und Bewegungsspielen, Noten-"Lehre" und Harmonik, Gesang und Tanz. Seit Beginn des dritten Schuljahrs musiziert man sogar als Streich-Orchester, mit Kontrabass, Cello, Bratsche und Violine. Für die meisten eine völlig neue Erfahrung

Für die meisten Schüler aus dem Brennpunkt-Stadtteil eine ganz neue Erfahrung. "Fast keiner" kennt von Haus aus Instrumente oder Noten, sagt die stellvertretende Schulleiterin Margarete Welle. Berührungspunkte zu selbst gemachter Musik gibt es kaum. Ein Papa spielt Rock 'n' Roll in einer Band, das war's auch schon. Als Gisela Bitdinger und Maria Görres-Caspers vor zweieinhalb Jahren mit dem Projekt begannen, starteten sie in Sachen Musik am Nullpunkt. Wenn sie jetzt mit der Klasse singen, kennen die Kinder nicht nur die Melodien, sie verstehen auch den Unterschied zwischen laut und piano, zwischen schnellem Rhythmus und getragener Melodie. Angst vorm Singen haben hier nicht einmal die Jungs. "Piepsstimmen", lästert Brian und reklamiert das nächste Solo für sich. Wenn ein Ton daneben geht, gilt ein eisernes Gesetz: "Keiner wird ausgelacht", verspricht Maria Görres-Caspers. Da traut man sich dann auch, beim Lied von der "Bar zum dicken Hund" den Takt kräftig mitzutrampeln und zu schnipsen. Ganz nebenbei verbessern die Neunjährigen auch noch ihre Aussprache. Beim Instrumental-Ensemble geht es naturgemäß nicht ganz so bewegungsintensiv zu. Die Instrumente sehen jedenfalls noch erstaunlich frisch aus. "So was wie Ehrfurcht" hat Elisabeth Krüger bei den Schülern ausgemacht: "Die sind wahnsinnig stolz auf ihr Instrument".Allerdings stoßen die Gast-Lehrerinnen auch an Grenzen. Viel Energie geht für das Aufrechterhalten eines unterrichtsfähigen Zustandes drauf, obwohl sich immer zwei Lehrkräfte die Arbeit in der Klasse teilen. Das kennen sie aus der "normalen" Musikschule nicht, wo meist von den Eltern geförderte Kinder in der Freizeit zum Unterricht kommen. Und auch sonst mussten sie sich in mancher Hinsicht umstellen. "Wir können längst nicht allen Kindern die Instrumente zum Üben mit nach Hause geben", sagt Schulleiter Rolf Neumann. Nicht nur, um mögliche Schäden zu vermeiden, sondern auch, um niemanden in Versuchung zu führen, das wertvolle Gerät zu Geld zu machen. Ein schwieriges Pflaster, das sich die Musikschule und die Koch-Stiftung, die das Projekt finanziert, für ihre Initiative ausgesucht haben. Musik-Projekt führt zu Verbesserungen

Aber es scheint sich zu lohnen. Neumann, der neben dem Musik-Projekt auch Schul-Sozialarbeit, betreute Disziplinarmaßnahmen und besondere Sport-Projekte im Angebot seiner Schule hat, beobachtet signifikante Verbesserungen. Die Kids aus der Musik-Klasse tauchen weitaus seltener im "Trainings-Raum" für die störenden Schüler auf als andere. Das sehen auch Musikschul-Chefin Pia Langer und der Leiter des Bildungszentrums der Stadt, Rudolf Hahn, mit großem Interesse. Sie kümmern sich um die langfristige Auswertung des Projekts, das unter dem Titel "Sozialer Friede durch aktives Musizieren" firmiert. Wenn es seinem Namen Ehre macht, dürfte es auf Dauer nicht nur einer Versuchs-Klasse vorbehalten bleiben.

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