Nackte Haut, laszive Posen: Ausstellung in Wittlich zeigt Erotisches aus der Kunst um 1900

Wittlich · Mehr als 100 Jahre alte erotische Männerfantasien sind Thema einer Ausstellung der Städtischen Galerie im Alten Rathaus Wittlich. Zu sehen ist in 57 Grafiken "das gefährliche Weib", wie es sich lustvoll nackt präsentiert und den Mann zu seinem Spielzeug macht.

Wittlich. Riesig, prall und schwarzglänzend windet sich der Schlangenleib zwischen nackten Schenkeln hindurch, streift Arme und Brüste, bis der Kopf des Reptils auf Evas Schulter ruht. Ihren unverhüllten Leib wölbt die stehende Schöne dem Betrachter lustvoll entgegen, während sie ihm ebenso kokett wie direkt in die Augen blickt, das Haupt an jenes des Monsters geschmiegt.

Nackt und eine Verführerin war Eva schon immer. So lasziv jedoch wie auf diesem Bild Franz von Stucks hatte man sie bis dahin nur selten gesehen. "Ein Skandalbild", sagt Richard Hüttel, Kurator einer Ausstellung in der Städtischen Galerie im Alten Wittlicher Rathaus. Eine Ausstellung, die hauptsächlich aus Bildern besteht, die zu ihrer Entstehungszeit um das Jahr 1900 das Zeug dazu hatten, Skandale auszulösen.

Denn zu sehen ist in 57 Grafiken "das gefährliche Weib", wie es in der Vorstellung und in den Vorurteilen vieler Männer zu jener Zeit lebte. Das heißt: sehr viel nackte Haut, sehr viele verführerische Posen, sehr viel von alledem, was den Mann um den Verstand bringt und ihn seinem eigenen Verlangen vermeintlich hilflos ausliefert. Die Radierungen, Kupferstiche und Lithographien stammen aus der Leipziger Sammlung Pientka. Hüttel, der vor seinem Ruhestand stellvertretender Direktor des Museums für bildende Künste in Leipzig war, hat seine Kontakte aktiviert, um dieses "unglaubliche Thema" nach Wittlich zu bringen.

Die erotischen Bilder, die ab Sonntag im Rathaus zu sehen sind, erzählen nicht nur von männlichen Fantasien um das Jahr 1900, sondern auch von einer Männlichkeitskrise. Den Herren war es laut Hüttel höchst suspekt, dass Frauen plötzlich wählen wollten, studieren wollten, ihre Korsetts wegwarfen, ihre Haare abschnitten und Gleichberechtigung forderten. Und so gingen sie in Abwehrhaltung.Ausdruck männlicher Angst


Ausdruck fand diese Abwehr auch in der Obsession vom gefährlichen Weib. In der männlichen Angst vor der weiblichen Verführungskraft, ja, vor der hemmungslosen Sexualität der Frau. "Die Frau ist nichts als Sexualität, weil sie die Sexualität selbst ist", schrieb der Wiener Philosoph Otto Weininger, der mit seinem frauenfeindlichen Werk "Geschlecht und Charakter" von 1903 mächtig Erfolg hatte. Diese Sexualität, die weibliche Verführungskraft, ist das zentrale Thema der auf sechs Räume verteilten Ausstellung. Einer dieser Räume widmet sich der Frau und dem Tier. Mal räkelt sich eine Brünette, die nichts als schwarze Seidenstrümpfe trägt, auf einem großen Vogel, der kurz davor ist, seinen Rivalen anzugreifen. Mal sitzt eine Nackte rittlings auf einem Ast und kitzelt einen Bären, der vergeblich versucht, zu ihr emporzuklettern, von ferne mit einem langen Stock. Mal neckt die nackte Verführerin einen riesigen Hummer, indem sie ihn am Fühler zupft. Das Tier symbolisiert den Mann, der zum Spielball der Frau wird.

Ein anderer Raum zeigt gefährliche Weiber in Mythos und Bibel. Neben Eva spielen Pandora, Salome, die Sirenen, Leda und Aphrodite Hauptrollen. Alte Themen, neue Frivolität. Auch der neue Körperkult der frühen Bodybuildingbewegung spiegelt sich in einem Teil der Bilder wider. Zum Leitmotiv der Ausstellung wird aber ein Bild von Otto Greiner: Der Teufel präsentiert dem Volk das Weib. Die Frau wird demnach vom Bösen in die Welt gebracht, um hilflose Männer zu verführen.

Die Idee vom gefährlichen Weib und dem hilflosen Mann mag mehr als 100 Jahre alt sein. Ihre Brisanz hat sie nicht verloren. Denn wenn Männer die Frau zur Verführerin stilisieren und sich selbst als hilflos sehen, so ist dieser Logik folgend sie selbst schuld, wenn sie sexuell belästigt oder gar vergewaltigt wird.
Hüttel verweist auf einen indischen Vergewaltigungsprozess, in dem der Mörder dem Opfer die Schuld gab. Und er verweist auf die Massenübergriffe der Kölner Silvesternacht. "Die vermeintlich gefährliche Frau wird schnell zur gefährdeten Frau", sagt Hüttel.

Skurril an alledem ist: "All diese Künstler hatten unglaublich selbstbewusste Frauen", sagt Hüttel.
Ob sie nun aus Rache an der Partnerin malten oder aus Freude am skurrilen Sujet - sehenswert sind die sexistischen Skandalbilder auch heute noch.Extra

 „Der Bär und die Elfe“ heißt dieses Bild von Max Klinger, das den Mann als täppisches Tier darstellt. Fotos: Sammlung Pientka Leipzig

„Der Bär und die Elfe“ heißt dieses Bild von Max Klinger, das den Mann als täppisches Tier darstellt. Fotos: Sammlung Pientka Leipzig

Foto: (g_kultur

Die Ausstellung ist vom 12. Juni bis zum 14. August im Alten Rathaus Wittlich zu sehen (Vernissage: Sonntag, 11 Uhr). Gezeigt werden Werke von Künstlern, die damals in aller Munde waren und die dann in Vergessenheit gerieten, darunter Max Klinger, Otto Greiner, Richard Müller, Alfred Frank, Alois Kolb, Otto Weigel, Walter Tiemann und andere überwiegend sächsische Künstler. Die Öffnungszeiten: dienstags bis freitags 11 bis 17 Uhr, sonn- und feiertags 14 bis 17 Uhr. Der Eintritt kostet drei Euro. Führungen sind auf Anfrage für fünf Euro pro Person möglich. Weitere Infos unter Telefon 06571/171355. Mos Das Programm Donnerstag, 16. Juni, 18 Uhr: Kuratorenführung mit Richard Hüttel; Freitag, 24. Juni, 18 Uhr: Vortrag Hüttels über erotische Fantasien in der Kunst um 1900; Sonntag, 26. Juni, 19 Uhr: Konzert mit dem Duo Dasch/Raue; Donnerstag, 7. Juli, 18 Uhr: Vortrag über Max Weber und die Frauen, Referent Prof. Matthias Bormuth. Mos

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