Nahe an der Vollendung

Es gibt Konzerte, die verlässt man mit dem Gefühl, dass man ein Werk nie mehr im Leben so gut hören wird. So war es bei Haydns "Die Jahreszeiten" mit dem Monteverdi Choir und dem "Orchestre révolutionaire et romantique" unter Leitung von Sir John Eliot Gardiner in der Luxemburger Philharmonie.

 Meisterhaft: John Eliot Gardiners Dirigat. Foto: Philharmonie

Meisterhaft: John Eliot Gardiners Dirigat. Foto: Philharmonie

Luxemburg. (DiL) Haydns mehr als zweistündiges Mammut-Werk beschreibt den Ablauf eines Jahres im Landleben eines kleinen Dorfs. Es bewegt sich mit seinen drei Figuren - einem Pächter und einem jungen Liebespaar - zwischen Singspiel und Oratorium.

Gardiner gelingt es auf grandiose Weise, die Geschichte dieser Menschen und ihres Lebens mit der Natur allein aus der Musik heraus so plastisch sichtbar zu machen, als sähe man einen Film. Die Freuden, die Bedrohungen, die Spiele, der Glauben, der Kampf: Alles wird in Haydns beredte Klangbilder getaucht.

Wenn die sommerliche Mittagssonne brennt, dann brennt auch das Orchester. Bei der Jagd flieht man mit den Hasen übers Feld. Wenn sich das Gewitter ankündigt, hört man jeden Tropfen fallen, und wenn der Chor förmlich aufspringt und den Sturm losbrausen lässt, möchte man mitten in der Philharmonie den Schirm aufspannen oder sich unter seinem Sitz verkriechen. Da stimmt einfach alles. Die sichtbare Körperspannung und die faszinierend klare Zeichensetzung des Dirigenten erreichen jeden einzelnen Musiker, Gardiners Orchester spielt kontrastscharf, auf den Sekundenbruchteil genau und mit jener Transparenz, die durch Originalklang-Instrumente ermöglicht wird. Das Spektrum des mit 30 Sängern schlank besetzten, aber enorm prägnanten Chors reicht vom filigransten Piano bis zum mächtigen Forte, das den - selbstverständlich ausverkauften - Saal bis unters Dach in einen Klangerlebnis-Raum verwandelt.

Vieles wirkt selbst auf erfahrene Konzertgänger so, als höre man es zum ersten Mal. Das hat auch mit dem perfekten Zusammenwirken zwischen den Instrumenten und den drei Solisten zu tun, die mitten im Orchester platziert sind. Einzelwertungen verbieten sich, so klangschön, differenzierend, wortverständlich und ausdrucksstark, wie Sophie Karthäuser, James Gilchrist und Matthew Rose das Werk darbringen. Viel näher kann man der Vollendung nicht kommen.

Kurioses Detail am Rande: Die Bühnenkleidung aller Beteiligten war am Londoner Flughafen hängen geblieben, so dass man in Jeans, Turnschuhen und Alltagsklamotten auftrat. Was aber, TV-Stilberaterin Salka Schwarz zum Trotz, der Qualität des Dargebotenen, der Motivation der Akteure und der Würde der Veranstaltung keinerlei Abbruch tat - eher im Gegenteil. Derart schallende Ovationen wie an diesem Abend gibt es auch in der Philharmonie nicht alle Tage.

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