Interview Nicht Monster, sondern Menschen: Interview mit Kriminalisten Stephan Harbort

Daun · Kriminalist Stephan Harbort kennt Serienmörder aus nächster Nähe. Vor seinem Besuch in Daun spricht er im Volksfreund-Interview über das Böse.

 Stephan Harbort. Foto: privat

Stephan Harbort. Foto: privat

Foto: Joerg Koch (g_kultur

Mehr als 50 Serienmörder hat Kriminalist und Autor Stephan Harbort über viele Jahre interviewt. Fünf dieser Gespräche hat er unter dem Titel „Protokolle des Bösen“ als psychologische Kammerspiele inszeniert. Fritz Wepper spielt „die Bestie“, einen Mann, der mehrere Menschen brutal ermordet hat. Am Dienstag, 19. September, wird bei „Tatort Eifel“ in Daun eine Episode der „Protokolle des Bösen“ gezeigt.

Harbort und Wepper sind selbst dabei und sprechen über die Entstehung dieses Formats. Dem Trierischen Volksfreund erklärte Harbort vorab, was für Menschen Serienmörder sind und wie sie sich von den Film- und Fernseh-Klischees unterscheiden.

Gab es trotz Ihrer langjährigen Erfahrung als Kriminalist Gespräche mit Serienmördern, die Sie richtig erschüttert haben?

Stephan Harbort: Im Gespräch mit Joachim Stein, den Fritz Wepper in den „Protokollen des Bösen“ spielt, hatte ich schon Angst, die Kontrolle über die Situation zu verlieren. Stein hat in den 1970er Jahren innerhalb weniger Tage drei Menschen brutal ermordet. Wir haben uns gut sieben Stunden unterhalten. Er sprang immer wieder auf, gestikulierte viel, riss mir den Stift aus der Hand, um damit zu demonstrieren, wie er jemanden umgebracht hat. Nach drei Stunden lächelte er zum ersten Mal, und das war wirklich erschreckend: Darin lag nichts Menschliches, das war eine zynische Fratze. Die meisten Gespräche verliefen aber sehr sachlich.

Woran erkennen Sie, ob jemand sich verstellt oder Ihnen ins Gesicht lügt?

Harbort: Da gibt es keine Tricks oder eindeutige verräterische Körpersprache. Die Leute sind ja seit Jahren daran gewöhnt, in Gesprächen möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten, weil sie negative Konsequenzen befürchten. Sie wollen nach der Tat nicht auffallen, um nicht gefasst zu werden, und wenn sie dann gefasst werden, wollen sie ihre Situation beim Verhör nicht noch schlimmer machen. Darum ist wichtig, dass ich meine Hausaufgaben mache, also schon vor dem Gespräch alle Fakten der Tat kenne und viel über die Person weiß. Mit diesem Vorwissen kann ich dann versuchen zu erkennen, ob die Aussagen insgesamt plausibel und konsistent sind. Aber am wichtigsten ist ohnehin, dass ich den Leuten klarmache, dass sie es gar nicht nötig haben, mich anzulügen.

Michaela May übernimmt mit dem "Todesengel" die einzige Frauenrolle der "Protokolle". Gibt es Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Serienmördern?

Harbort: Frauen machen etwa 15 bis 20 Prozent der Serienmörder aus. Bei Männern besteht meistens keine persönliche Beziehung zu den Opfern, bei Frauen sind die Morde hingegen oft die aus ihrer Sicht letzte mögliche, radikale Lösung persönlicher oder beruflicher Probleme, denen sie sich machtlos ausgeliefert fühlen. Man könnte sagen, bei Männern steht oft der Gedanke „Ich will herrschen“ im Vordergrund, während es bei Frauen der Gedanke „Ich will nicht beherrscht werden“ ist.

„Protokolle des Bösen“ ist ein knackiger, aber auch ein wenig reißerischer Titel. Würden Sie diese Menschen tatsächlich als „böse“ bezeichnen oder ist die Sache nicht komplizierter?

Harbort: „Das Böse“ ist in erster Linie ein Sammelbegriff für abweichendes, gesellschaftlich nicht akzeptiertes Verhalten. Und wir sprechen hier immerhin von einer unübertrefflichen Form von Gewalt. Für diese Gewalt, ihre Ursachen und ihre Erscheinungsformen gibt es zwar in der Kriminalistik oder der Psychologie Fachbegriffe, aber im normalen Sprachgebrauch fehlt ein Etikett. Dafür finde ich den Begriff nicht schlecht. Er deckt ja auch die Bandbreite und Vielfalt der Taten ab, um die es geht.

Wie nah orientieren sich die „Protokolle“ an den realen Gesprächen?

Harbort: Das sind die realen Protokolle, ich habe kaum in den Text eingegriffen, nur „Äh“s, Hänger und Ähnliches beseitigt. Natürlich hatten die Schauspieler künstlerische Freiheiten, aber ich habe eingegriffen, wenn sie eine Rolle spielten, die so nie existierte. Aber das war nur selten nötig. Die Darsteller sind sehr professionell an die Sache herangegangen, haben sich Aufnahmen der Gespräche angehört und mich sehr viel darüber gefragt, was für Menschen die Täter waren.

War es bei so einer eindeutigen, realistischen Darstellung schwer, die Täter davon zu überzeugen, so viel über sich preiszugeben?

Harbort: Einige haben gesagt, sie wollen das nicht. Aber durch diese Darstellung gebe ich ihnen die Gelegenheit, sich öffentlich unverfälscht zu zeigen, ohne durch den Filter eines Zeitungsberichts oder Ähnliches. Für viele ist es darum eben auch eine Chance, aufzuklären: „Ich bin kein Monster, sondern ein Mensch.“

Beim Wort „Serienmörder“ denken viele Menschen an die kühlen, intellektuellen Psychopathen aus Hollywood-Filmen. Wie unterscheidet sich dieses Bild von der Realität?

Harbort Diese Figuren sind darauf ausgelegt, besonders imposant zu sein. Das ist okay, wenn man eine spannende Geschichte erzählen will, aber mit der Wirklichkeit hat das wenig zu tun. Solche hochintelligenten Psychopathen wie Hannibal Lecter, die nur von genialen Ermittlern überführt werden können, gibt es in der realen Verbrechenswelt nicht. Zum Glück! Die Rückmeldung meiner Leser bestätigt mir: Die Realität kann noch viel spannender sein als jede Fiktion.

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