Niemand will den Feigling in sich sehen

Berlin. Bei den 60. Filmfestspielen in Venedig, die am Mittwoch beginnen, wird jede Menge Hollywood vertreten sein - allerdings außerhalb des Wettbewerbs und auf dem roten Teppich. Der Wettbewerb gehört Europa. Die deutsche Regisseurin Margarethe von Trotta tritt mit ihrem Film "Rosenstraße" im Wettrennen um den "Goldenen Löwen" an.

Berlin 1943: Auch in der Rosenstraße werden jüdische Ehepartner aus Mischehen für den Abtransport nach Auschwitz gesammelt. Doch es ereignet sich ein kleines Wunder. Mehrere hundert Frauen demonstrieren tagtäglich vor dem Gebäude für die Freilassung ihrer Männer. Der ratlose Goebbels befiehlt deren Freilassung, einige bereits ins KZ Deportierte werden zurückgeholt. Regisseurin Margarethe von Trotta hat dem Aufstand den mutigen Frauen aus der "Rosenstraße" ein filmisches Denkmal gesetzt. Die Geschichte der "Rosenstraße" gehört zu den weniger bekannten Kapiteln des Dritten Reichs. Wie sind Sie darauf aufmerksam geworden?Von Trotta: Es gibt ein Buch von Gernot Jochheim, es war wohl das erste zu diesem Thema. Ende 1993 habe ich es auf Anraten von Volker Schlöndorff, der damals noch in Babelsberg war, gelesen. Er wollte, dass ich daraus einen Film mache. Dann habe ich mir den Dokumentarfilm von Daniela Schmidt angesehen, die mir später auch geholfen hat, die Zeitzeugen zu kontaktieren. Die Kombination aus der Lektüre und der Begegnung mit den Menschen hat mich davon überzeugt, das Filmprojekt in die Tat umzusetzen. Ich habe zehn oder zwölf Zeitzeugen getroffen und dann ein Drehbuch geschrieben. Weil es uns nicht möglich war, das Geld aufzutreiben, wurde das Projekt aber auf Eis gelegt. Warum hat es so lange gedauert, bis die Geschichte der "Rosenstraße" publik wurde?Von Trotta: Es ist die Konfrontation mit der Tatsache, dass es möglich war, andere zu verstecken oder in sonst irgendeiner Form zu helfen. Für die Leute war diese Erkenntnis nach dem Krieg gar nicht so einfach. Die meisten haben nun mal weggesehen, haben geschwiegen und nichts getan. Sie konnten sich damit rechtfertigen, dass es zu gefährlich war und dass niemand etwas hätte ausrichten können. Es gab die Widerständler vom 20. Juli, aber die sind umgekommen. Das war das beste Beispiel: Jemand hatte etwas versucht, und alle sind exekutiert worden. Die Menschen wollten nicht wissen, dass es Leute gab, die erfolgreich Widerstand leisteten. Diesem Bild wollte man sich nicht aussetzen. Man schaut nicht gern in einen Spiegel, um darin ein Scheusal oder einen Feigling zu entdecken. Wie ist Ihre eindrucksvolle Besetzung zusammengekommen?Von Trotta: Natürlich war ich hocherfreut, dass ich Jutta Lampe und Doris Schade einsetzen konnte, die ja schon in "Die bleierne Zeit" mitgespielt haben. Ich bin mit ihnen befreundet, ich liebe und schätze sie sehr. Die "nachfolgende Generation" - Maria Schrader, Katja Riemann, Jorgen Vogel - fand ich auch wunderbar. Die Begegnung mit den Dreien war schon etwas Großes. Die alten und die jungen Schauspieler haben sich auf Anhieb gemocht. Das habe ich mit Freude zur Kenntnis genommen. Ich selbst habe als junge Schauspielerin erlebt, dass ältere Kolleginnen versucht haben, mich auszubooten, weil sie eifersüchtig waren. Befanden sich tatsächlich keine Männer unter den Demonstranten?Von Trotta: Die Männer waren ja zum großen Teil im Krieg. Wenn nicht, dann waren sie in einem Ministerium oder bei einer öffentlichen Stelle beschäftigt und ebenfalls Uniformträger. Aus diesem Grunde war es damals auch so schwierig für die männlichen Juden, sich in Berlin zu verstecken. Wenn sie sich ohne Uniform in die Stadt begaben, wurden sie natürlich sofort verdächtig. Es gab nur alte Männer und Kinder. Deshalb standen so wenige Männer vor dem Gebäude, obwohl auch Frauen darin saßen. Sicherlich haben sich wesentlich mehr Männer von ihren jüdischen Ehefrauen scheiden lassen als umgekehrt. Aber das hing auch damit zusammen, dass die Frauen keinen "Karriereknick" erleiden mussten. Die Nazi-Ideologie wünschte Ehefrauen und Mütter. Das Gespräch führte unser Mitarbeiter André Wesche

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