Nur der Glaube bleibt

Trier · Sie schildert den Seelenzustand der Menschen nach den äußeren und inneren Verwüstungen der Weltkriege. Leonard Bernsteins 2. Sinfonie, "Age of Anxiety", ist ein Zeitporträt und hat zugleich autobiografische Züge. Beim 1. Sinfoniekonzert (Donnerstag, 6. Oktober, 20 Uhr, Theater Trier) steht das Werk im Mittelpunkt.

 Pianist Soheil Nasseri ist der Gaststar des Konzerts. Foto: Werner Schuering

Pianist Soheil Nasseri ist der Gaststar des Konzerts. Foto: Werner Schuering

Foto: Werner Schuering (Werner Schuering)

Trier. Die Kompositionen, in denen sich ausdrücklich Zeitgeschichte niederschlägt, sind der Zahl nach klein, aber in ihrer Qualität bedeutend. Brittens "War Requiem" gehört dazu, die "Leningrader" von Schostakowitsch, der "Simplizissimus" von Karl Amadeus Hartmann. Auch die 2. Sinfonie von Leonard Bernstein "The Age of Anxiety" für Klavier und Orchester ist solch ein Zeitstück.
Bernstein stieß im Sommer 1947 auf das gleichnamige Gedicht von W. H. Auden (1907-1973), das damals neu erschienen war. "Von diesem Moment an bekam für mich die Komposition einer Sinfonie auf Basis der ‚Age of Anxiety‘ eine verpflichtende Qualität", heißt es im Vorwort Bernsteins zu der Partitur, die er 1949 abschloss. Es war wohl die philosophische Zeitnähe von Audens Gedicht, die auf Bernstein diese erstaunliche Anziehungskraft ausübte - die Frage nach dem Sinn von Existenz in einer sinnlos gewordenen Welt. Das spiegelte die innere Situation vieler Menschen in Europa und Amerika nach dem Krieg wider.
Bezeichnend der Prolog der Sinfonie - drei Männer und eine Frau begegnen sich in New York, alle einsam, verunsichert, alkoholgefährdet - "lonely charakters", nennt Bernstein sie.
Und die folgenden Variationen der Sinfonie ("sieben Lebensalter" und "sieben Schauplätze") schildern die Phasen im Leben eines Menschen aus der Sicht der vier Protagonisten. Im Mittelpunkt steht das "Zeitalter der Angst", die Periode von Einsamkeit, Ohnmacht und Ratlosigkeit. Wie ein Schatten ist dabei die äußere und innere Kriegszerstörung spürbar.
Und im zweiten Teil des 30-minütigen Werks sprechen bereits die Titel für sich: Ein düsterer "Grabgesang", "Maske", das Abbild einer verzweifelt wilden Party, schließlich ein melancholischer "Epilog". Trotzdem: Es ist nicht alles verloren. "So viel wird deutlich", schreibt Bernstein im Vorwort: "nur der Glaube bleibt".
Victor Puhl, Dirigent im 1. Trie rer Sinfoniekonzert am kommenden Donnerstag, konzentriert sich auf den Zeitbezug dieser Sinfonie. Das verbindet die "Age of Anxiety" mit einem zweiten Werk im Konzertprogramm.
Auch Maurice Ravels "La Valse" reflektiert das beschädigte Leben einer Nachkriegsgeneration. "Es sind bei Ravel keine Walzer, wie wir sie kennen", sagt Puhl. Hinter dem großen, repräsentativen Schwung dieser Musik verberge sich etwas Düsteres und Zweifelhaftes. Anders steht es bei George Gershwins "Amerikaner in Paris". Die Komposition ist ein französisch-amerikanischer Dialog, der erste Teil Amerika, der zweite Frankreich gewidmet. Vielleicht schwingt da auch mit, dass beide Länder Verbündete waren.
Und mit Strawinskys "Scherzo fantastique" (1907/08) greift das Sinfoniekonzert-Programm zurück auf die "belle epoque" vor dem Ersten Weltkrieg. Literarische Basis ist das Gedicht "Das Leben der Bienen" von Maurice Maeterlinck (1862-1949). Es schildert Sonnenaufgang, Hochzeitsflug, Liebeskampf und Tod des (Bienen-) Gemahls. Strawinsky resümiert: "So wird das Ganze für uns Menschen zum fantastischen Abbild eines ewigen Kreislaufs." mö
1. Sinfoniekonzert, Donnerstag, 6. Oktober, 20 Uhr, Theater Trier. Werke von Strawinsky, Bernstein, Gershwin und Ravel. Soheil Nasseri am Klavier. Philharmonisches Orchester Trier, Leitung GMD Victor Puhl. Karten: 0651/718 1818

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