Nur keine Schubladen

TORONTO. Ein mitreißender Rocker, ein ruhiger Country-Poet, ein Erfinder des "Grunge", einer der größten Musiker seiner Zeit: Das alles ist Neil Young, der morgen 60 Jahre alt wird.

Die Musik-Experten werden sich zu Wort melden. Ehrfurchtsvoll von "Rock-Ikone" murmeln. Seine Vielfalt hervorheben. Seine Kreativität loben. Große musikalische Linien ziehen von Youngs meisterhaftem Album "Harvest" von 1972 über "Harvest Moon" (1992) bis zu seinen 2005er-Aufnahmen von "Prairie Wind", das Ganze gar als Trilogie bezeichnen. Ein fast 40 Jahre umfassendes Gesamtwerk herausarbeiten, das besteht aus fast 40 Alben, die Young als Solist, mit Crazy Horse, mit Crosby, Stills & Nash oder mit Buffalo Springfield aufgenommen hat. Die Experten werden klingen, als redeten sie über Beethoven oder Schubert. Fehlerfrei, immer genial. Dabei war Neil Young alles andere als jederzeit vollkommen. Seine Elektro-Experimente in den 80ern schockten jeden Fan - wahrscheinlich auch ihn selbst. Auch die Amateur-Psychologen werden sich zu Wort melden. Wie bei jedem Künstler sofort Verbindungen herstellen zwischen privaten Situationen und musikalischem Schaffen. Die epileptischen Anfälle, die ihn seit seiner Kindheit verfolgen, in Erinnerung bringen. Auf seine beiden besten Freunde hinweisen, die schon früh an all dem starben, was der Rock'n'Roll so mit sich bringt. Die Ursachen für sein soziales Engagement (Gründer einer Schule für mehrfach behinderte Kinder, Gründer des jährlichen "Farm-Aid"-Festivals zugunsten in Not geratener Farmer) erforschen. Dabei lässt sich Neil Young keineswegs einfach in irgendwelche Lebens-Phasen einteilen. Die Wechsel zwischen Weltverbesserungswünschen und Melancholie erfolgten ständig, fast schon von Lied zu Lied, zumindest von Album zu Album, keinesfalls aber in größeren Abschnitten. Und genauso verhält es sich mit den Genres. Mal Rock, mal Country, mal Grunge, mal Folk, mal Rockabilly - wie er gerade lustig war. Und auch die unverbesserlichen Politik-und-Musik-Kombinierer werden sich zu Wort melden. An sein antibürgerliches Rebellen-Dasein zu Beginn seiner Karriere erinnern. Mahnend den Zeigefinger wegen seiner Pro-Reagan-Einstellung in den 80er Jahren heben. Seine patriotischen Lieder nach dem 11. September diskutieren. Seinen Auftritt bei Springsteens "Vote for change"-Tour würdigen. Dabei wollte Neil Young wohl niemals annähernd so politisch sein wie vielleicht Bob Dylan. Sondern er wollte einfach gute Musik machen. Sagen und dichten und texten, was er gerade denkt und fühlt. Und gute Tourneen absolvieren. Mit Zottelfrisur, Holzfällerhemd und Fistelstimme. Und genau deshalb werden sich auch die Fans zu Wort melden. Die werden in erster Linie dankbar sein für jede Menge fantastischer Lieder - und sich zu Youngs 60. wohl nochmal ein paar Platten Extra-Portion dieses großen Künstlers gönnen.

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