"Nur 'ne andere Musik wär schön gewesen"

TRIER. Bei "Antigonae" gab's keine Pause - um so ausgiebiger genossen prominente und weniger prominente Gäste die "Nachspielzeit" im Festspielzelt. Noch weit nach Mitternacht wurde bei Lachshäppchen und trockenem Kabinett über das Geschehene und das Gesehene debattiert.

Kay Bertl stöhnt. Der Video-Filmer soll im edlen Zelt-Ambiente mit der Kamera "Stimmen zum Spiel" einfangen. "Keiner will so recht was sagen", grummelt der Bayer. Ganz überraschend kommt das nicht. Die musikalisch "härteste Kost" (OB Schröer warnend zu seinem Sitznachbarn auf der Tribüne) hat bei frösteligen Außentemperaturen nicht unbedingt die Herzen des Publikums erwärmt, aber wer will schon vor der unerbittlichen Kamera als Kulturbanause gelten? So drückt sich, wer kann, um die Stellungnahme oder rettet sich in ein unverbindliches "Doch, doch, war ganz interessant".Urteilsfindung mit Hape Kerkeling

Moselfestwochen-Chef Hermann Lewen kommentiert den Abend auf seine Weise: "Hurz!", ruft er immer mal wieder in den Saal, eine Anspielung auf den legendären Gag von Komiker Hape Kerkeling, der als vermeintlich avantgardistischer Künstler sein Publikum mit grobem musikalischen Unfug verhohnepiepelte. Weitere Interpretationen versagt er sich.Der oberste Kulturbeauftrage des Landes legt sich dagegen eindeutig fest: "Gute Produktion, sehr beeindruckendes Stück", sagt Staatssekretär Roland Härtel, der zum ersten Mal die Antikenfestspiele besucht. Nicht alle am Sozi-Tisch, wo sich die örtliche SPD-Prominenz versammelt, teilen die Einschätzung. "Die haben keine Pause gemacht, weil dann die Hälfte weg gewesen wäre", ruft Landtagspräsident Christoph Grimm über zwei Tische hinweg. Der Mann war schon immer eher ehrlich als diplomatisch.Ein paar Meter weiter, auf spürbare räumliche Distanz zu den Genossen, ein ebenso überraschendes wie bekanntes Gesicht: Florian Gerster, Ex-Chef der Bundesanstalt für Arbeit und bekennender Opern-Fan, weilt auf persönliche Einladung des Oberbürgermeisters bei den Festspielen - und ist begeistert, vor allem vom Orchester. Nicht weit davon entfernt nutzt der künftige Intendant Gerhard Weber die Gelegenheit zum Vertiefen von Kontakten, während sein noch amtierender Vorgänger in der entgegengesetzten Ecke des Zelts mit den Künstlern feiert. Die wirken sichtlich erleichtert ob der geschulterten Last. "Wir sind positiv überrascht, wie gut das Publikum dieses schwierige Stück verkraftet hat", sagt ein blendend gelaunter Tenor Peter Svensson.Durchhalten und Takte mitzählen

Regisseur Lukas-Kindermann schwärmt derweil aufgeräumt von seinen Hauptdarstellern Gail Gilmore und Urban Malmberg ("Was Besseres findet man in ganz Europa nicht") und wird auch um ein Uhr in der Frühe nicht müde, mit leuchtenden Augen zu erklären, warum gerade diese Orff-Oper ein Meilenstein in der Musikgeschichte ist und deshalb unbedingt bei den Antikenfestspielen aufgeführt werden musste.Ob das seine Chorsänger auch so sehen? Die Erschöpfung ist ihnen anzumerken, Berge von Texten mussten sie bewältigen, ohne Musik, an der man sich orientieren könnte. "Da reimt sich überhaupt nix", sagt einer klagend zu Ulrich Holkenbrink. "Da hilft nur eins: Durchhalten, Takte mitzählen und auf keinen Fall den eigenen Ohren trauen", empfiehlt der gelernte Musiklehrer.Als Kulturdezernent knüpft Holkenbrink an die rücksichtsvolle Tradition seines Vorgängers an, die Nachwirkung des Kunstwerks nicht durch eine Rede mit all zu hohem Unterhaltungswert zu beeinträchtigen.An den meisten Tischen ist man ohnehin längst zum Small Talk übergegangen, säuberlich nach Gruppen getrennt. Besonders eifrig diskutiert man unter den Gastronomen, wo Günter Schmieder (Inflagranti), Bernd Krier (Walderdorffs) und Peter Stablo (Palais) weniger über die dramatischen Geschehnisse im antiken Theben als über die nicht minder dramatischen Ereignisse in der heimischen Brauerei-Szene fachsimpeln.Der kleine Zeiger der Uhr ist längst an der Zwei vorbeigerückt, als sich die Versammlung langsam auflöst. "Toller Einführungsvortrag, Super-Orchester, Klasse-Solisten, Top-Inszenierung", sagt einer der letzten Gäste. "Nur 'ne andere Musikwär schön gewesen".

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