Pop kommt, Pop geht

Der Sommer ist für die populäre Musik eine besondere Jahreszeit: Er hat uns nicht nur Madonna gegeben und den King genommen, er beschert uns auch jährlich die Messe der deutschen Musikindustrie, die PopKomm. Wenn eine solche Leistungsschau Rückschlüsse über den Zustand ihres Industriezweiges zulässt, möchte man den singenden und klingenden Kollegen nur noch zurufen: Sucht Euch endlich eine anständige Arbeit - die großen Zeiten sind vorbei! Lange Gesichter, leere Hallen, Alexander von den "Superstars" - ein Endzeitszenario von Breughel‘scher Wucht und in seiner Düsternis nur noch durch eins übertroffen: den Prognosen für das nächste Jahr. Konstante Umsatzeinbrüche um die 20 Prozent bei allen Plattenfirmen. Weltweit. Jährlich. Schon muss Musikmanager Thomas Stein als Fernsehmoderator dilettieren und Dieter Bohlen für Klamotten werben. Es steht außer Frage: Eine Branche stirbt! Und wer ist daran schuld? Sie, der Konsument, weil - der Konsument, der brennt! In einer nie dagewesenen Form multimedialen Ladendiebstahls bereichern sich ruchlose Subjekte wie Sie millionenfach am Eigentum der Plattenindustrie durch Schwarzkopie, statt die geforderten 17 Euro für das Produkt an der Ladenkasse zu entrichten! Schämen Sie sich! Oder machen sich etwa die Herren Produkt- und Marketingmanager das Stöhnen über ihre Marktschwäche allzu leicht? Ist ja irgendwie so, als wenn ein Automanager seine Umsatzeinbrüche mit der zunehmenden Zahl von Mitfahrerzentralen begründen würde... Schauen wir besser nach den wirklich Schuldigen am Niedergang der Popkultur: Typen wie Dieter Gorny etwa, seines Zeichens Miterfinder der Popkomm und Viva-Geschäftsführer. Dieter Gorny hat eine klare Vorstellung von Popmusik als Kulturgut - sie ist keins! Und so behandelt er sie auch: Auf seinem Videoabspielkanal Viva tummelt sich austauschbarer Klingklangbrei der konturlosen Gleichgesichter in den Farben Weiß, Schwarz und Mokka. Die Jungs aus den Boygroups heißen alle Sean aus Irland, und die Girlgroup-Mädels stammen aus einer Castingshow und hatten schon mal was mit Sean. Das ist Pop! Das will Dieter Gorny sehen - und darum gibt‘s das auch zu sehen. Vive la Résignation! Sehen Sie sich diesen Sender mal einen Tag lang an - und stellen Sie sich selbst die Frage: Würden Sie das etwa kaufen? Haben unsere Vorfahren dafür die Waldbühne in Berlin zertrümmert und in Woodstock im Schlamm gelegen? Für Clerasil-Werbung und die IQ- Wüsten Anastacia und Milka? Und dann sollen wir Kunden auch noch an allem Schuld sein? Schämen Sie sich, Herr Gorny!

Pop kommt, Pop geht
Foto: privat
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