Preußisches Suppenhuhn

Den "preußischen Ikarus", den mit Stacheldraht gefesselten Adler, besang Wolf Biermann 1976, wofür er von den DDR-Diktatoren ausgebürgert wurde. In der Debatte um eine Ehrenbürgerschaft für den Sänger hat sich die politische Spitze Berlins leider nicht wie der nach Freiheit strebende, stolze Vogel präsentiert.

Sondern eher wie ein Suppenhuhn. Aus Rücksichtnahme auf den Koalitionspartner Linkspartei und aus kleinlicher parteipolitischer Konkurrenz lehnte die SPD, allen voran der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, den Vorschlag der Opposition zunächst ab. Biermanns Freiheitsdrang, für den er persönliche Opfer in Kauf genommen hat, wäre bei allem, was an dem Künstler sonst irritieren mag, der einzige Maßstab gewesen, der für die Partei Ernst Reuters und Willy Brandts hätte gelten müssen. Gerade im wiedervereinigten Berlin. Dann wäre es keine Frage gewesen, dass Biermann dieser Ehrung mindestens ebenso würdig ist, wie Fliegerkosmonaut Sigmund Jähn, Sternenkrieger Ronald Reagan oder Milieuzeichner Heinrich Zille. Aber in ihrem Zaudern und Zögern war den Gegnern zuletzt kein Scheinargument zu billig - bis dahin, dass Biermann, der seit seiner Ausbürgerung in Hamburg lebt, inzwischen mehr mit der Hansestadt als mit Berlin zu tun habe. Mit ihrem Einlenken unter dem Druck der öffentlichen Kritik hat die SPD-Fraktion in letzter Minute zwar die Notbremse gezogen. Doch der Eindruck, dass es da fundamental an Maßstäben fehlt, ist geblieben. nachrichten@volksfreund.de

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