Probe-Bohrung in die Geschichte

Ein populäres, preisgekröntes Filmsujet, einer der profiliertesten deutschen Bühnen-Autoren, ein idealer Zeitpunkt: Eigentlich müsste die Bühnenversion von "Das Leben der Anderen", pünktlich zum 20. Jahrestag des Mauerfalls, einen Erfolg garantieren. Doch die Luxemburger Uraufführung zeigt ein durchaus sperriges, vom Film weit entferntes Stück.

 Am Ende: Dichter Georg Dreyman (Carsten Klemm). Foto: Theater

Am Ende: Dichter Georg Dreyman (Carsten Klemm). Foto: Theater

Luxemburg. "Vier bewegende Monologe" - so beschreibt das Programmheft das Stück von Albert Ostermaier. Und tatsächlich: Vom Film des Regisseurs Florian Henckel von Donnersmarck bleibt nur noch ein Gerippe stehen, ein Handlungsrahmen und vier Personen, die aus ihrer individuellen Sicht das Geschehen reflektieren.

Donnersmarcks Film ist eine fast kammerspielartige Aufarbeitung des DDR-Spitzelstaats, zugleich politisch und höchst privat. Das Drama um den bespitzelten Schriftsteller Georg Dreyman, seine zwischen Staats-Schauspielerin und Subversion schwankende Lebensgefährtin Christa Sieland, einen DDR-Kulturminister und den für die Überwachung zuständigen Stasi-Mann Gerd Wiesler, der vom Kontrolleur zum Beschützer wird, fesselte 2006 mehr als zwei Millionen deutsche Kinobesucher.

Da liegt die Idee nahe, den Stoff fürs Theater aufzuarbeiten. Aber Ostermaier liefert nicht das, was das Publikum erwartet und was wohl ursprünglich geplant war: eine Bühnen-Nacherzählung des Films. Er nimmt das Filmdrehbuch wie den Stoff einer antiken Tragödie und lässt sie als Seelendrama von vier Hauptpersonen neu aufarbeiten. Das sind quasi Probe-Bohrungen in den Körper der Geschichte, spannend, auf hohem sprachlichem Niveau - aber auch auf einer sehr anspruchsvollen Abstraktionsebene, die eine profunde Kenntnis des Films voraussetzt.

So kann Ostermeier den Plot weiterdrehen und in der Jetztzeit enden lassen. Ein heruntergekommener, verbitterter Dreyman muss erfahren, dass ihm niemand mehr seine "alten Geschichten" abnehmen will. Der Minister, der einst ihn und seine Lebensgefährtin ins Unglück trieb, ist inzwischen auch im Kapitalismus turbo-erfolgreich und schickt ihm regelmäßig einen Scheck, den Dreyman freilich nie einlöst.

Die vier Blickwinkel sind Ostermaier unterschiedlich gelungen. Der Minister (Germain Wagner) fällt arg holzschnittartig aus, Dreyman (Carsten Klemm) etwas zu papieren-politisch, die Schauspielerin (Petra Zwingmann) bewegend in all ihrer Zwiespältigkeit.

Ein furioses Glanzstück ist Luc Feits Spitzel Wiesler, in den Ostermaier - ohne alles Plakative - den ganzen Konflikt zwischen den Gesetzmäßigkeiten eines autoritären Staats und dem Anspruch auf Individualität hineinpackt, zwischen Loyalität und Aufbegehren, zwischen der Sicherheit einer angepassten Existenz und dem Reiz des Unerlaubten.

Regisseur Johannes Zametzer und sein Team (Christoph Rasche, Bühne, und Ulli Kremer, Kostüme) setzen das hochkonzentriert, aber auch Konzentration fordernd, in Szene. Das Publikum ging bei der Premiere mit. Die Frage, ob das Stück eine elementare Substanz über den Film hinaus hat, konnte sie nicht endgültig beantworten.

Zu sehen im Kapuzinertheater Luxemburg am 29., 30. September und am 1. Oktober. Infos: www.theatres.lu. Karten: 00352/4708951.

Langes Ringen

Um die Bühnenversion von "Das Leben der anderen" wurde lange gerungen. Regisseur Donnersmarck war in Hollywood nicht aufzutreiben, um seine Genehmigung zu erteilen, so dass man das Stück letztlich ganz anders anlegte als den Film. Das Stück, das erst auf den letzten Drücker fertig wurde, ist auch im Theater Trier angekündigt, aber offenbar steht noch nicht fest, ob es tatsächlich kommt.

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