Provinz ist eine Frage des Blickwinkels

"Provinz-Kultur? - Kultur in die Provinz!": Unter diesem durchaus provokativen Titel hatten die Wittlicher Kulturtage eine illustre Diskussionsrunde in die Synagoge eingeladen. Aber die Lust am Provozieren war offenbar mit der Einladung weitgehend erschöpft.

 Kultur und Provinz muss kein Widerspruch sein: sommerliches Open-Air-„Treckerkino“ auf Burg Dudeldorf. TV-Foto: Archiv/Rudolf Höser

Kultur und Provinz muss kein Widerspruch sein: sommerliches Open-Air-„Treckerkino“ auf Burg Dudeldorf. TV-Foto: Archiv/Rudolf Höser

Wittlich. In der von kulturpolitischen Grundsatz-Debatten derzeit arg gebeutelten Kreisstadt hatten sich die Kultur-Macher prominenten Beistand eingeladen: Staatssekretär Joachim Hofmann-Göttig, heimlicher Kulturminister von Rheinland-Pfalz, machte seine Aufwartung. Aus Interesse am Thema, wie eigens erwähnt wurde. Und der Messias aus Mainz - jedenfalls wurde er entsprechend ehrerbietig begrüßt - brachte in einer rhetorisch wohl gesetzten, manuskriptlosen Rede die erhoffte Linderung für die wunden Kultur-Seelen zwischen Mosel und Eifel. Provinz, so sein Befund, gebe es nicht. Höchstens "Nicht-Verdichtungs-Regionen". Will heißen: Landschaften, in denen weniger Leute wohnen und deswegen kulturell nicht ganz so viel geboten werden kann wie in den Großstädten. Letztere aber seien, gemessen an den echten Metropolen, jeweils auch wieder Provinz. Kurzum, so des Staatssekretärs Fazit: "alles eine Frage des Blickwinkels".So motiviert, legten die Kulturmacher am Podium kräftig nach. Moselfestwochen-Chef Hermann Lewen attestierte der Region ein "großartiges, in keiner Weise provinzielles Kulturangebot", das allenfalls darunter leide, "dass es den Kulturschaffenden an Selbstbewusstsein fehlt". Provinz sei "ohnehin kein topographischer, sondern ein mentaler Begriff", assistierte Wittlichs derzeit unter Beschuss stehende Kulturamtsleiter Justinus Maria Calleen. Aber so recht mochte keiner die dankbare Vorlage aufnehmen. Allenfalls die Journalistin Eva-Maria Reuther deutete mit ihrer Einschätzung, es gebe in der Provinz "zu wenig Konflikt-, Dialog- und Kritikbereitschaft", die Möglichkeit, es könnten zwischen der Eifel und New York doch noch andere als quantitative kulturelle Unterschiede existieren.Sind die Eifel und New York nur unterschiedlich groß?

Angeregt von Hofmann-Göttigs gleichermaßen kompetenten wie interessanten Erwägungen über die Frage, wann denn der von Natur aus als kulturelles Wesen geborene Mensch seine diesbezüglichen Fähigkeiten "abtrainiert" bekomme, bewegte sich die von Barbara Mikuda-Hüttel moderierte Debatte immer weiter vom Thema weg. Ainhoa Achutegui, Leiterin des Kulturzentrums im Luxemburgischen Ettelbrück, propagierte die Kinder als "wichtigstes Kulturpublikum", dem man "qualitativ nur das Beste" zumuten dürfe. Was wiederum bei Hermann Lewen die augenzwinkernde Frage aufkommen ließ, was er dann mit seinem im Schnitt 58 Jahre alten Festwochen-Publikum machen solle.Der Traben-Trarbacher Bildhauer Jürgen Waxweiler beklagte mangelnde Kommunikationsfähigkeit seitens der Politik, was den Staatssekretär zu dem beifallumtosten Bonmot inspirierte, die wahre Grenze in der Politik verlaufe nicht zwischen den Parteien, "sondern zwischen Kulturinteressierten und Kulturbanausen".Den aktuellen Wittlicher Knatsch sparte man weitgehend aus, obwohl er das Thema spannender illustriert hätte als allgemeine Spiegelfechtereien. Hofmann-Göttig wollte sich verständlicherweise in lokale Kalamitäten nicht einmischen, Calleen offenkundig kein Öl ins Feuer gießen. Lewen forderte den allseitigen Schulterschluss.So blieb dem Manderscheider Kulturmacher Rainer Laupichler die undankbare Aufgabe, aus dem Publikum heraus an den Jucke-Punkten zu kratzen. Er beklagte anhand praktischer Beispiele die Engstirnigkeit, das Desinteresse, die Skepsis gegenüber Innovationen und die mangelnde Unterstützung für unkonventionelle Kulturprojekte in der (nach Meinung der anderen gar nicht vorhandenen) "Provinz". Es war die Stelle, an der die Debatte eigentlich hätte beginnen sollen. Stattdessen wurde sie beendet, ohne dass jemand auf Laupichler einging. Es hätte womöglich die Harmonie verdorben.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort