Publikum gesucht

Unbefriedigende Bilanz der Theatersaison 2007/2008 in Trier: Von 131 000 Besuchern bei Vorstellungen und Konzerten fiel die Zahl auf 111 000. Was auf den ersten Blick wie ein katastrophaler Einbruch wirkt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als zwar nicht gerade glanzvolles, aber auch nicht dramatisches Ergebnis.

 Top: „Kiss me, Kate“. Foto: Klaus-Dieter Theis

Top: „Kiss me, Kate“. Foto: Klaus-Dieter Theis

Trier. Ungewohnt spät und mit vielen wortreichen Erklärungen stellte Kulturdezernent Ulrich Holkenbrink dem zuständigen Ausschuss und der Presse die Bilanz der im Juli zu Ende gegangenen Theatersaison vor. 15 Prozent Besucherschwund: Mit einer solchen Zahl hatte noch kein Verantwortlicher seit Beginn der Theaterstatistik im Jahr 1964 vor seine politischen Gremien treten müssen.

15000 Zeltopern-Besucher im Vorjahr vereinnahmt



Freilich ist das statistische Debakel eher die Quittung für frühere Tricksereien an der Zuschauer-Buchführung als Ausweis einer ernsthaften Krise. Im vergangenen Jahr hatte man kurzerhand 15 000 Zaungäste aus einer "Vermietung" des städtischen Orchesters an die Merziger Zeltoper in die eigene Bilanz eingerechnet und so der Öffentlichkeit "ein sensationell gutes Ergebnis" (Holkenbrink im Oktober 2007) vermelden können. In diesem Jahr fielen die Potemkinschen Zuschauermassen wieder weg - prompt stürzte die Besucherzahl in den Keller.

Aber auch wenn man diese Nullsummenspiele weglässt, besteht wenig Grund zur Euphorie. Im Großen Haus zählte man unterm Strich bei Oper, Musical und Schauspiel rund 9000 Besucher weniger. Die Konzerte legten um 3000 Gäste zu, weil deutlich mehr gespielt wurde - allerdings ohne eine Steigerung bei der Auslastungsquote.

Besucher-Krösus war - neben dem Märchen mit 18 000 - das Musical "Kiss me Kate", das mehr als 9000 Fans zur Zähmung der Widerspenstigen lockte. In Sachen Richard Wagner zeigte sich dagegen eher das Publikum widerspenstig: Zur mit riesigem Aufwand und Star-Besetzung präsentierten "Walküre" fanden sich gerade mal 3600 Wagnerianer ein, und das "Ring"-Tanztheater, wiewohl von der überregionalen Kritik mächtig gelobt, brachte auch nur 3000 Besucher auf die Beine. Weil die Zuschauer den anspruchsvollen "Schmetterlingssonaten" im Tanz- und der raren Barock-Oper "Dardanus" im Musiktheater ebenfalls die kalte Schulter zeigten, blieb das Gesamtergebnis hinter den Erwartungen zurück. Trotz einer respektablen "Butterfly" (6100) und einem Achtungserfolg für die Welturaufführung "Cusanus" (2300).

Beim Schauspiel glänzten "Nathan" (6400) und "Woyzeck" (5000), letzterer mit einer Auslastung von stolzen 87 Prozent. Das zeitgenössische Stück "Verbrennungen" hingegen spielte vor weniger als halb besetzten Rängen. Da zog die kleine, aber feine Studio-Komödie "Kunst" deutlich mehr Zuschauer.

Abonnenten-Zahl im Zickzack-Kurs



Man habe aus den Rückgängen für die laufende Spielzeit bereits Konsequenzen gezogen, sagte Intendant Gerhard Weber und verwies auf die Vielzahl populärer Titel im aktuellen Programm. Er wolle aber seinen Kurs zur Gewinnung neuer Publikumsschichten beibehalten. "Da muss es auch mal drin sein, Romeo und Julia mit Rap zu inszenieren, auch wenn es einzelne Abonnenten verschreckt". Die Abo-Zahl sei in der Saison 07/08 weiter zurückgegangen, räumte Weber ein, sprach aber für die laufende Spielzeit von einer Trendwende. Es habe "auch in Zeiten des Herrn Kindermann, der sich derzeit so gerne zu Wort meldet, Besucher-Rückläufe gegeben", teilte Dezernent Holkenbrink in Richtung des Ex-Intendanten aus.

In der laufenden Spielzeit droht allerdings ein weiterer Einbruch, fehlen doch die Antikenfestspiele, die diesmal fast ein Zehntel der Saison-Besucher ausmachten und in vielen Abos vertreten sind. Intendant Weber will sich trotz mangelnder Mittel um einen Ersatz kümmern. Es werde "mindestens eine Zusatzproduktion geben" kündigte er an.

Meinung

Der Umbruch ist unvermeidlich

Zur Panik besteht kein Anlass, wohl aber zur nüchternen Analyse. Das Theater Trier ist in einem notwendigen Umbruch. Notwendig, weil ein Programm, das nur auf die Bedienung des klassischen Abo-Publikums abstellt, über kurz oder lang schon aus demografischen Gründen zum Scheitern verurteilt ist. Das Theater stirbt einfach mit seinen Stammbesuchern aus. Wer neue altersmäßige und soziale Schichten erschließen will, muss in Kauf nehmen, dass der eine oder andere Traditionsbesucher lieber daheim bleibt oder in andere Häuser abwandert. Aber die Verluste sollten sich auf das Unvermeidliche beschränken. Nur noch drei Opern in einer Spielzeit, wie derzeit, das vergrault systematisch Stammgäste, ohne neue Theaterfreunde zu erschließen. Aus der Spielplan-Bilanz 07/08 lässt sich einiges herauslesen. Zum Beispiel, dass die Trierer keineswegs nur "Konservatives" mögen. Der schräge "Woyzeck" mit Michael Kiesslings Musik war ein Erfolg, die sperrige "Cusanus"-Oper auch. Geht doch, wenn man's gut macht. Aber für einen gutbürgerlichen Hardcore-Wagner wie die "Walküre" reicht das einheimische Publikum auch bei bester Kunst offenbar nicht. Und wenn man nicht im Stande ist, überregionale Zuschauer anzuwerben, sollte man's lassen. Barock-Opern sieht die Region offenbar lieber in Luxemburg, und gänzlich unbekannte Stücke gänzlich unbekannter Autoren aus anderen Sprachräumen tragen in Trier nicht das große Haus. Schade - aber da muss man nicht mit dem Kopf gegen die Wand rennen. Das Tanztheater hingegen verdient längeren Atem und Mut zum Risiko, denn es ist ein Kernstück der neuen Ästhetik, ebenso wie Festivals Marke "Maximierung Mensch". So viel Kunst muss sich das Theater leisten können. d.lintz@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort