Pulp Fiction für die Bühne

LUXEMBURG. Einem kleinen Gauner wachsen die Dinge über den Kopf. Zehn Jahre später erinnert er sich daran. Mehr passiert nicht im Ein-Mann-Stück "Der gute Dieb".

Eine verfahrene Kiste. Was als kleiner Zwist zwischen Halbweltgestalten begann - ein Gelegenheitsganove soll im Auftrag eines anderen Gauners einen Mann einschüchtern, mit dem er noch eine Rechnung offen hat -, endet in einem veritablen Blutbad mit fünf Leichen sowie einer Frau nebst Kleinkind im Schlepptau, die der Killer wider Willen jetzt auch noch an der Backe hat.Tagtraumhafte Legendenweber

Der Schauplatz ist Irland, und mit dieser Nation ist das bekanntlich so eine Sache. Deren Bewohner sind fantastische Märchenerzähler und tagtraumhafte Legendenweber, aber sie kennen auch Gewalt der brutalsten Sorte aus nächster Nähe. Von allem etwas findet sich in dem Ein-Personen-Stück von Conor McPherson, das als eine Art Pulp Fiction fürs Theater für eine Komödie zu bitter und für eine Tragödie zu flapsig ist. Irgendwo dazwischen eben, wo auch die Realität keine Rolle mehr spielt, wie das Bühnenbild von Jeanny Kratochwil andeutet: ein zeitloser Schauplatz zwi- schen Gefängnisenge und Him- melsweite. Vielleicht ist das Ganze ja auch nur eine Fieberfantasie, flüchtig und ungreifbar wie die Wolken, die auf die Rückwand projiziert werden. Natürlich ist "Der gute Dieb" des 33-jährigen Iren McPherson kein wirkliches Theaterstück; dafür fehlt ihm das dramatische Potenzial. Das heißt, der einzige Schauspieler muss alles wettmachen, was dem Text an Bühnenwirksamkeit abgeht. Doch Regisseur Oliver Ernst lässt seinen Protagonisten im Luxemburger Kapuzinertheater Konflikte, Spannung, Gefühle und Gewissensbisse mehr erzählen und nur sparsam agieren.Zwischen Selbstmord und Lebenslust

So wechselt Germain Wagner als namenloser Klein-Ganove wortreich zwischen Selbstmordanwandlungen und Lebenslust. Eine Aufgabe, die er recht ordentlich erledigt, wenn er auch bei der Masse an Sätzen ohne Gegenspieler und Stichwortgeber manchen Texthänger hat. Der Typ, den er spielt, hat zweifellos einen Schlag bei Frauen, sieht gut aus, ist mal großmäulig und mal - sozusagen - schweißnass vor Angst. Dann wieder lässt er diesen unverschämt öligen Charme aufblitzen, auf den die Weiber so fliegen und mit dem er auch fast die Witwe des Getöteten ‘rumgekriegt hätte. Doch irgendwann kommen Zweifel auf: Hat der Mann sich die ganze Story nur zurechtgelegt; will er mit dem süffisant-triumphierenden Lächeln dem Publikum und vor allem sich selbst bloß was vormachen? Immerhin ist das alles schon lange her - zehn Jahre Gefängnis gehen an einem Mann nicht spurlos vorbei. Doch diese Frage lässt der Autor offen. Nur soviel wird klar: Manch einem kommt eben im Lauf der Zeit die Realität abhanden, und alles, was zum Überleben bleibt, sind Trugbilder und Wolkenkuckucksheime. Was freilich oft allemal tröstlicher ist als die Wirklichkeit. Weitere Aufführungen: 27. und 28. Januar, 4. und 5. Februar; Karten: 00352/470895.

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