Raubkatze am Klavier

Bernkastel-Wehlen . Einen großen Klavierabend mit der Pianistin Anna Gourari veranstalteten die Mosel Festwochen im Kloster Machern. Hier präsentierten sich die überragenden Vorzüge einer großen Künstlerin und die deutlichen Schwächen des Konzert-Flügels.

Sie ist jung, und sie ist hübsch. Kein Wunder also, dass man sie auch für den Film entdeckte und ihr, wenn auch nur als Laienschauspielerin, eine Hauptrolle in Werner Herzogs Streifen "Invincibile" gab. Es geht um Anna Gourari, der nachsagt wird, sie sei eine Ausnahmepianistin, der man das Prädikat "Individualistin des 21. Jahrhunderts" verliehen hat. Immer zum Sprung bereit

Eine Kostprobe gab die russische Künstlerin beim Konzert der Mosel Festwochen im Festsaal des Kloster Machern. Gouraris Verhalten auf der Bühne erinnert an einen Leopard, der sich voller Anspannung und Geschmeidigkeit seiner Beute nähert, zum Sprung bereit. Häufig sitzt sie geduckt vor dem Instrument, bereit, den Kampf aufzunehmen und, wenn sie dann aus der Deckung auftaucht, strahlt sie eines aus: Siegesgewissheit. Dabei ist es ganz gleichgültig, ob es Ludwig van Beethovens "32 Variationen in c-Moll über ein eigenes Thema" sind oder die Fantasien Opus 116 von Johannes Brahms, die das Publikum spannungsvoll erwartet, ob sie den "Papillons" Opus 2 von Robert Schumann ein klangliches Denkmal setzt oder den technischen Kampf mit Paul Hindemiths Suite "1922" aufnimmt. Man sagt der Gourari nach, ihr Spiel lebe vor allem von der Kraft, der Stärke, mit der sie den Werken und ihrem Instrument zu Leibe rücke. Das ist teilweise sicherlich richtig und ein zartes Cembalo sollte man ihr besser nicht vorsetzen. Sie kann ihre Herkunft aus der russischen Schule nicht leugnen und jeder Versuch, es doch zu tun, wäre fatal. Ihre Art der Interpretation ist ein geschlossenes Ganzes, ist folgerichtig, konsequent. Vor allem aber wäre es völlig falsch, zu schließen, sie könne nicht leise, zartfühlend spielen, ihr fehle die Empathie. Eines der schönsten Beispiele, mit wie viel Gefühl diese Künstlerin Musik gestalten kann, war das erste Intermezzo in Brahms' Opus 116. Die Innigkeit, mit der sie hier spielte, ja die fast schon zärtliche Art, wie sie den Notentext behandelte ließen den Satz nahezu schweben. Gleiches galt für Schumanns zwölfteilige Schmetterlingsfolge, die mit nahezu wundervoller Leichtigkeit den Raum erfüllten. Wenn es aber die Musik und ihr Verständnis davon will, kann sie auch anders.Bewunderungswürdige Technik

Dann spielt sie mit Kraft, duldet keinen Widerspruch, setzt alle Energien, die ihr selbst, dem Instrument und der Komposition innewohnen, frei. Gepaart mit einer bewunderungswürdigen Technik ergibt sich daraus ein Hochgenuss, wie man ihn nicht häufig erleben kann. In Machern kulminierte dies in Hindemiths "Ragtime". Ein perfekter Abend also, den die Mosel Festwochen hier veranstalteten? Nicht ganz. Der Flügel, den man Gourari hier zur Verfügung stellte, zeigte einige Schwächen. Sein matter, stumpfer Diskant, seine schwache Mittellage und sein, wenn auch kräftiger, jedoch sehr mulmender Bass reichten nicht an das Niveau der Künstlerin. Trotzdem war es ein hinreißender Abend, der so schnell nicht vergessen wird.

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