Theater Raum für Licht lassen: Ein Spaziergang durch Trier mit Chefdramaturg Alexander May

Trier · Der Chefdramaturg des Theaters Trier, Alexander May, ist nicht unbekannt mit der Stadt. Er kennt sogar (fast) jeden Stein. Denn hier hat er seine Lehre zum Steinmetz gemacht. Was der Beruf des Steinmetzes und des Dramaturgen gemeinsam haben, hat er bei einem Spaziergang erzählt.

 Stationen eines persönlichen Spaziergangs: Chefdramaturg Alexander May, der in Trier Steinmetz gelernt hat, unterwegs zu historischen Steinen, an denen er früher gearbeitet hat: an der Jesuitenkirche (Fotos oben und unten) sowie in der Gasse Sieh um dich am Domfreihof. TV-Fotos (3): Stefanie Braun

Stationen eines persönlichen Spaziergangs: Chefdramaturg Alexander May, der in Trier Steinmetz gelernt hat, unterwegs zu historischen Steinen, an denen er früher gearbeitet hat: an der Jesuitenkirche (Fotos oben und unten) sowie in der Gasse Sieh um dich am Domfreihof. TV-Fotos (3): Stefanie Braun

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Raum für Licht lassen: Ein Spaziergang durch Trier mit Chefdramaturg Alexander May
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Wenn Alexander May durch die Stadt spaziert, dann wird jeder Muskel beansprucht. Er geht in die Hocke, beschleunigt den Schritt, geht nochmal drei Meter zurück, deutet auf Details an Wänden und Bauten. Sein Weg führt ihn von der Jesuitenkirche über die ehemalige Post, durch die Gasse Sieh um dich bis hin zum Dom. Aber der neue Chefdramaturg des Theaters ist nicht nur auf einer Reise durch die Trierer Vergangenheit, sondern auch auf Spurensuche in seiner eigenen. Denn der gebürtige Konzer war nicht immer am Theater. In Trier hat er von 1989 bis 1992 zunächst einen anderen Beruf gelernt: den des Steinmetzes. Ein Beruf, wie für Trier gemacht.

Damals hat May am Dom gearbeitet, in der Heiligrockkapelle, in der Basilika in 35 Metern Höhe, und eben an der Jesuitenkirche, in der Windgasse und an der ehemaligen Post auf dem Kornmarkt. An der können Passanten noch heute auf dem ersten Stein sitzen, den er in seiner Lehre fertig gemacht hat. Verbaut wurde er als Fenstersims an der Außenfassade. May erinnert sich noch genau an die Arbeit an diesem Stein: Er sollte ihn aus einem Findling heraushauen, mit den Händen, nicht mit einer Schleifmaschine, darauf bestand sein Meister damals. Er müsse erst lernen, es langsam mit den Händen zu machen, ein Gefühl dafür kriegen, danach könne er den Vorgang beschleunigen, hatte der Meister gesagt. Erst wurde aus dem Findling ein Würfel, dann arbeitete er anhand einer Zeichnung den Fenstersims heraus. Nach fünf oder sechs Wochen war er fertig, das war am Ende seines ersten Lehrjahres. Im zweiten Lehrjahr folgte dann die Arbeit am Portal der Jesuitenkirche. Saurer Regen, Salz im winterlichen Streugut und Chemikalien hatten dem Sandstein zugesetzt.

May mag dieses gotische Bauwerk besonders gerne, es gibt wenig davon in Trier. Gotisches sei filigran und strebe in seiner Form immer nach oben, lasse dabei Raum für Licht, sagt der 47-Jährige. Auch der Sandstein selbst sei schon etwas Besonderes: Dort wo früher Land war, ist heute Meer und umgekehrt. Tiere und Pflanzen starben vor Millionen Jahren und sanken auf den Grund dieser Meere. Rutschte dieser Grund in tiefere Schichten, wo mehr Druck herrschte, wurde aus ihm Granit, blieb er weiter oben konnte aus Sand, Kalk und Muscheln der Stein werden, aus dem viele Gebäude in Trier gefertigt wurden.

Zwar wurden sie für die Ewigkeit gebaut, doch moderne Umweltschadstoffe bringen sie nun zum Bröckeln. Damit es nicht weiter verwittert, können Steinmetze Restaurationsarbeiten leisten: Kieselsäure aufpinseln, die den Stein auf natürliche Weise bindet oder angegriffene Stellen herausschlagen, die früher mit sogenannten Vierungen gefüllt wurden. Würfelförmige Steinstücke, die man auch heute noch in vielen Bauwerken in Trier finden kann. Mittlerweile würden diese Stellen jedoch mit Mörtel gefüllt, sagt May.

Die Arbeit am Stein habe etwas Meditatives. Nach kurzer Zeit dampfe der ganze Körper, irgendwann sei man in dem Zustand, dass man jeden Hieb merke. Am Anfang tue man sich natürlich auch oft weh, müsse immer wieder darauf achten, dass die Hände im richtigen Winkel bleiben, so dass man nicht zu tief in den Stein schlägt, sondern immer nur knapp unter der Oberfläche bleibt. Sich langsam der gewünschten Form annähert. Mit viel Gefühl. Irgendwann spürt man es dann, wie es eben einfach funktioniert. Man sieht ohne hinzuschauen und bekommt ein Gefühl für die Fläche und für die Schönheit der Form.

Auch im Theater kann er dieses Gefühl gebrauchen, zum Beispiel, wenn es um die Bearbeitung eines Stückes geht. So wie bei "Don Carlos" von Schiller, das er selbst inszenieren wird, die Premiere ist am 13. Januar. Als Regisseur wolle er versuchen, dem Gedanken des Autors nachzuspüren, der zur Entstehung des Stückes geführt hat.
Ein gravierender Unterschied zur Arbeit als Steinmetz: gerecht werden bedeute nicht unterordnen. Als Restaurator stelle man sich in den Dienst der Form, die man wiederherstellen wolle. Als Theatermacher gehe es darum, dem Gedanken des Dichters gerecht zu werden, allerdings mit modernen Mitteln. Der Gedanke des Autors solle dem Zuschauer klar werden. Natürlich gebe es auch Regisseure, die ihre eigenen Ideen darüberstellen wollten, aber hier nähern sich Restauration und Theater wieder an: Wenn die Harmonie nicht stimmt, sehen auch Laien dies sofort. Am Ende seiner Lehre hat May einen Zapfen für ein Tor in der Windgasse gefertigt. Zuerst musste es ein Ei werden, dann sollte er die kleinen Lamellen aus der Form herausarbeiten.

Das Problem: Ein Ei muss perfekt sein. Es verzeiht keine Formfehler, genauso wenig wie der Betrachter. Wenn die Harmonie nicht stimmt, fällt dies sofort auf. Ein Ei hat nur eine Wahrheit, sich selbst.

Nach seiner Ausbildung habe er zwei Jahre Friedensdienst in Polen gemacht und entschloss sich danach, nicht nach Trier zurückzukehren, sondern nach Berlin zu ziehen.

In Berlin arbeitete er als Restaurator in einem Museum und entdeckte das Theaterspielen für sich. Per Zufall wurde er dann Assistent des renommierten Regisseurs Christoph Schlingensief. Es folgten zwei Jahre Doppelleben: von 9 bis 15 Uhr, Restaurateur im Museum, von 16 Uhr bis Mitternacht, Theater spielen und assistieren. Er habe Theater nie studiert, sondern sei über die Praxis eingestiegen, mit einem früheren Leben auf dem Bau im Gepäck. Von daher weiß er auch: ein Mitarbeiter ist so wertvoll wie der andere. Der Lehrling, der den Mörtel mischt, ist genauso wichtig für den Bau wie der Meister, der den Schlussstein setzt. Eine Denkweise, die er ins Theater mitgenommen hat, da gibt es nicht nur Chefs und Künstler, sondern auch Putzfrauen und Pförtner und alle leisten ihren Beitrag zum Gesamtwerk.
Die Arbeit am Stein und die am Theater haben noch mehr gemein: man müsse vorher wissen, was man am Ende haben wolle. Und man müsse immer "mit dem Material" arbeiten, nicht dagegen, beim Steinmetz habe das die praktische Konsequenz, dass der Stein sonst vor lauter Spannung zerspringe. Doch auch im Theater können Spannungen entstehen. Ein Ensemble bestehe aus vielen Künstlern unterschiedlichster Couleur, Musiker, Tänzer, Schauspieler, alte Hasen neben Nachwuchstalenten. Da gebe es vieles, was man beachten müsse, um das Ganze zum "Klingen zu bringen".

Man müsse wissen, wie man jede einzelne Komponente anpackt, damit ein gemeinsames Ergebnis herauskommt. Dass dieses optisch nicht jedem zusagen muss und auch nicht immer auf den ersten Blick zusammenpasst, ist eine andere Geschichte. In der Trierer Architektur streckt sich ja auch gotisches Maßwerk neben Renaissancebau in den Himmel. Eigentlich sei dies ein großer Widerspruch, so May, und dennoch sei es zusammengewachsen und bilde im Stadtbild nun eine Einheit. Man müsse nur immer wieder daran arbeiten, dass der Wert der Dinge erhalten bleibe und auch weiter als wertvoll erachtet werde. Steine muss man restaurieren und so ursprünglich erhalten, wie ihre Erbauer sie erdacht hatten. Stücke müssen immer wieder in die Gegenwart transportiert werden, ohne ihre eigentliche Aussagekraft aus den Augen zu verlieren. Steine hauen ist da vielleicht manchmal einfacher.

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