Rausch der Erneuerung

TRIER. (mö) Es hat eine starke Symbolkraft, dass Max Reger nach der Rückkehr in sein katholisches Elternhaus zu protestantischen Chorälen greift. Zwei dieser Choralbearbeitungen und einige kleinere Werke hat der Trierer Domorganist Josef Still neu eingespielt.

Desaster und Aufbruch. Nach dem alkoholreichen Niedergang in Wiesbaden war Max Reger ins Elternhaus in Weiden/Oberpfalz zurückgekehrt und entfaltete dort eine erstaunliche Produktivität. Im Mittelpunkt seiner Orgelmusik stand damals der protestantische Choral - Symbol persönlicher Erneuerung. Josef Still hat vor drei Jahren zwei dieser Choralfantasien eingespielt und dazu einige kleinere Stücke. Jetzt sind sie bei Naxos neu erschienen. Josef Still ist ein Souverän an der Domorgel. Drei Orgel-Messesätzen, einer "Melodia" und einem "Te Deum"aus dem Opus 59 gibt er einen innigen und doch hymnischen Grundzug mit, ein genau austariertes Verhältnis zudem von Klangverschmelzung und Betonung der Hauptstimmen. Generell vollzieht er Regers Vortragsbezeichnungen nach, ohne sie zu buchstabieren. Erstaunlich, wie viel Intimität auf der großen Domorgel möglich ist! Bemerkenswert auch die Sensibilität, mit der Still Introduktion und Passacaglia f-Moll op. 63 behandelt, mit der er die Bachschen Stilelemente in einen großen, sinfonischen Zug einbindet, ohne sie zu überspielen. Das klaviernahe "Capriccio" op. 59,10 freilich war für Raum und Instrument wohl das falsche Stück. Dann die beiden Choralfantasien. "Halleluja, Gott zu loben" op. 52,3 lebt bei Josef Still von einem großen Bogen, einem gewaltigen Crescendo über retardierenden und leisen Partien hinweg. Bis hin zur Fuge und der siebten Strophe des Chorals weitet sich die Musik, erobert neue Räumlichkeiten und wird dabei trotz aller Traditionsbindung selber ganz neu. Josef Still erfühlt und vermittelt dieses Potenzial eindringlich. Die gleichermaßen emotionsstarke und brüchige Choralfantasie "Wie schön leuchtete der Morgenstein" freilich nimmt er ein wenig zu überlegen. Er modelliert Klanggestalten und überlässt die Gefühlswelt dieser Musik weitgehend sich selber. So treten die Schwächen des Werks allzu deutlich hervor. Vielleicht benötigt der Rausch der Erneuerung, der Reger in seiner Weidener Zeit beseelte, auch eine entschieden offensive Interpretation.

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