Regisseur abgewatscht

BAYREUTH. In der Neuinszenierung von "Tristan und Isolde" hat sich Regisseur Christoph Marthaler so sehr auf darstellerischen Minimalismus eingelassen, dass er am Ende der musikalisch beachtlichen Premiere ein schlimmeres Buhgewitter einfuhr als Christoph Schlingensiefs "Parsifal" im Vorjahr.

Dabei stehen der Schweizer Regisseur und seine ständige Bühnen- und Kostümbildnerin Anna Viebrock für eine zentrale Position im gegenwärtigen Schauspiel wie auch im Musiktheater. Und vom ausgeprägten Personalstil der beiden findet sich viel auf der Bayreuther Bühne wieder. Viebrock hat für jeden "Tristan"-Akt ihrem "Wartesaal" eine neue Zeitschicht hinzugefunden. Was in den 1920er Jahren beginnt, wird in den 60ern fortgeführt und endet heute - am Ende tragen die Darsteller private Kleidung und Alltagsfrisuren. So wird recht platt eine Überzeitlichkeit der Handlung gezeigt. Für Ritter und Heldentum ist bei Marthaler kein Platz: Seine Geschichte erzählt von allzu menschlichen Gefühlen. Der Liebestrank, den Isoldes Gefährtin im ersten Akt braut, enthält zu viel Wasser: Unterkühlt bleibt das Verhältnis des Paares, auch der leidenschaftliche Ausbruch des zweiten Aktes findet vornehmlich in der Musik und nicht auf der Bühne statt. Ein zentrales Moment der Inszenierung ist die Gründlichkeit, mit der Marthaler und Viebrock dem zentralen Begriff "Licht" im "Tristan" hinterher gelauscht haben. "Die Lichter erzählen die ganze Geschichte", hatte Viebrock vorab verraten - sie hätte allerdings eine Übersetzung mitliefern sollen. Denn daran krankt der Abend: Viele gute Ideen, die so enigmatisch verwoben sind, dass die meisten Zuschauer keine Lust darauf haben, sie zu entschlüsseln. Bleibt die Freude über zwei herrliche Musiker: Die schwedische Sopranistin Nina Stemme räumt einen Applaus ab, der ihr wie auch dem Publikum zu Herzen geht. Das ist besonders in Bayreuth: Die Zuschauer verreißen eifrig, sind aber ebenso ekstatisch im Lob. Isoldes Erzählung und Fluch, ihr Liebestod - erste Sahne, das Liebesduett mit Robert Dean Smith ein Moment, den man nie mehr vergessen möchte. Sein Tristan ist Musterbeispiel kultivierten Gesangs - ohne viele Farben für Tristans Schmerzen, dafür mit allen Tönen, die Wagner geschrieben hat, eine echte Seltenheit. Das Festspielorchester spielt elegant - allzu viel scheint es mit Debütant Eiji Oue am Pult nicht anfangen zu können, dem eine individuelle Handschrift noch abgeht. Das Premierenpublikum feiert die Sänger und watscht die Regie ab - für die Wiederaufnahmen der nächsten Jahre ist noch eine Menge Luft in dieser Inszenierung, die viele gute Ansätze hat.

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