Reingelesen

Zu Achim Reis\' Metier zählt die Lese, doch auch aufs Schreiben versteht er sich, wie sein Erstling "Das Glück braucht tiefe Wurzeln" belegt. Vordergründig handelt das Buch von ihm selbst - vom Winzersohn, der in Traben-Trarbach zur Schule ging und als Lehrer dorthin zurückkehrte, bevor es ihn nach Berlin verschlug.

Fern von der Mosel sucht er mit Frau und Kindern das Glück und wird nicht fündig. Reis spürt, dass er in der Großstadt ein Flachwurzler bleiben wird, dass er an der Spree nie jenen Halt finden wird, den ein Weinstock in Steillage auszeichnet. Vor die Wahl zwischen Metropole und Moseldorf gestellt entscheidet er sich für die Rückkehr in seine Heimat, wo er in Briedel (Landkreis Cochem-Zell) den elterlichen Betrieb übernimmt. Sehr persönlich und doch unaufdringlich schildert Reis die innere "Zerreißprobe". An der Mosel findet er private und berufliche Erfüllung. Wobei sich in Reis‘ Leben das eine von dem anderem nicht trennen lässt. So ist das Buch mehr als eine Selbstbespiegelung: Reis liefert eine unsentimentale Hommage an die Mosel und den Wein, an eine Landschaft und ein Kulturgut, das nicht nur FAZ-Feuilletonisten bisweilen zu wenig wertschätzen. Dem Autor gelingt die Kunst, seinen Lebensbericht mit hintergründigen Informationen über die Komplexität des Weines anzureichern. Und hierbei kommt er immer wieder auf sein Credo zu sprechen: auf sein Streben nach Qualität und Wertigkeit, auf sein Ziel, den außergewöhnlichen Tropfen zu kreieren. Was nur gelingen kann, wenn er keinen Arbeitsschritt aus der Hand gibt, sondern den Prozess von der Rebe bis zur Flasche begleitet und beeinflusst. Reis berichtet vom langwierigen Erziehen der Reben und beschreibt für Laien verständlich die Wirkungen des moselländischen Mikroklimas auf Wachstum und Geschmack der Trauben. Er erzählt auch von den Konflikten, die er mit seinem Vater austrug: etwa darüber, Trauben auf den Boden zu schneiden. "Ich reduziere bewusst die Menge und hebe damit die Qualität". Dass er sich damit nicht nur Freunde unter den Winzern macht, ist Reis auch bewusst. Der Autor schwärmt von seiner "unüblichen, anachronistisch anmutenden Lebensart, die freilich erstaunlich gut funktioniert". Aber er weiß auch, dass sein Lebensentwurf nicht übertragbar ist, dass die ländliche Idylle für einen Stadtmenschen zum Horror werden kann. Er will weder bekehren noch beglücken und ist doch überzeugt, "dass das wahre Glück der Menschen ausgerechnet in ihrer Arbeit liegt". Reis hat das Glück, diese Art von Arbeit für sich zu finden. Ein Glück, dass er darüber auch geschrieben hat. Marcus Stölb Achim Reis, Das Glück braucht tiefe Wurzeln, Ullstein Buchverlage, Berlin 2014, 251 Seiten, 18 Euro.

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