Reingeschaut

"Man kann ja auch nüchtern Konzerte spielen - vielleicht sogar besser". Diese postpubertär klingende Erkenntnis von Gitarrist Michael Breitkopf ("Breiti") spiegelt ganz gut die Entwicklung in 30 Jahren Bandgeschichte wider: von rotzlöffligen Punkern hin zu Mainstream-Idolen.

Man wird halt nicht jünger. Aber das ist es nicht alleine. Denn auch die Toten Hosen haben erfahren, dass es nicht mehr alleine darum gehen kann, jeden Tag vollgedröhnt Party zu feiern, sondern dass ihr Ruhm auch Verantwortung bedeutet: fürs Publikum, für sich selbst, für die Gesellschaft. Aus den zuvor nur gegrölten linken Parolen wurde das klare Statement, die bewusste Einmischung in die politische Diskussion. Spätestens seit der existenziellen Erfahrung während ihres 1000. Konzerts. Das sollte eine Riesenparty werden, endete aber im Chaos und mit dem Tod einer jungen Zuschauerin - und bedeutete beinahe das Aus der Düsseldorfer Band, wie intime Interviews belegen. Gerade diese ungeschminkten Einblicke in 30 Jahre Band- und Tourgeschichte, die der preisgekrönte Filmemacher Eric Friedler eingefangen hat, machen die Stärke der Dokumentation "Nichts als die Wahrheit - 30 Jahre Die Toten Hosen" aus. Vermutlich weil die Band sich darauf eingelassen hat, auf eine Endabnahme zu verzichten, sind wuchtige Statements, Einblicke in hermetisch abgeriegeltes Bandterrain, ungeschminkte Bilder herausgekommen. So sieht der Fan auch bislang unbekanntes Material - vom Geheim-Auftritt 1988 in Ostberlin bis zu Aufnahmen aus dem Tourbus. Natürlich ist die Rückschau mit viel Lob und Anerkennung von Weggefährten wie Bob Geldorf, Punklegende Charlie Harper und den Ärzten versehen, sie ist dennoch nie Anbiederung oder gar Anbetung. Und sie gibt auch endlich eine Antwort auf die seit Jahren gestellte Frage: "Sind die Hosen angesichts ihres Alters und ihres Erfolgs noch Punks?" Natürlich! Nicht! Mario Hübner "Nichts als die Wahrheit - 30 Jahren Die Toten Hosen"; 120 Minuten, Buch und Regie: Eric Friedler, im Auftrag der ARD, 12,90 Euro

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