Sänger-Mikado

Premiere für eine neue Form der Kultur-Zusammenarbeit zwischen Trier und der Partnerstadt Ascoli Piceno: Mit Puccinis "Turandot" wurde am Wochenende die erste gemeinsame Opern-Produktion aus der Taufe gehoben.

Ascoli Piceno. Auch ohne viel offizielles Brimborium war die Trierer Präsenz in der mittelitalienischen Partnerstadt unübersehbar. Neben den 50 Musikern der städtischen Philharmoniker hatte sich dank Ryan-Air eine mindestens ebenso große Gruppe von "Fans" von der Mosel in die Region Marken begeben. Selbst Kulturdezernent Ulrich Holkenbrink, zu Hause von der Antikenfestspiel-Krise geschüttelt, saß - wenn auch leicht abwesend wirkend - bei der Premiere im bildhübschen "Teatro Ventidio Basso" mit seinen idyllischen "Scala-Logen".

Den wichtigsten, aber auch heikelsten Part in der Kooperation hatte Intendant Gerhard Weber übernommen - er zeichnete für die Inszenierung von Puccinis unvollendetem Final-Werk verantwortlich. Ein Himmelfahrtskommando, klaffen doch zwischen deutschem und italienischem Musiktheater-Verständnis wahre Abgründe. Was hierzulande als gemäßigt-konservativ gilt, empfinden die traditionalistisch geprägten Opern-Tifosi schon als revolutionären Modernismus.

Zwischen diesen beiden Polen laviert Webers "Turandot" etwas unentschieden hin und her. Die Geschichte der eisigen, männermordenden Prinzessin Turandot und dem draufgängerischen Zocker Calaf, der mit ihr um sein Leben spielt, überzeugt in den Bildern und schwächelt in der Personenführung.

Museale Gestik, stimmige Bilder



Die Akteure spielen über weite Strecken Sänger-Mikado: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Die Gestik stammt aus dem Opern-Museum, die Charakterisierung fehlt völlig. Dafür entwickeln Weber und sein Ausstatter Rocco Pugliese Eerola einen stimmungsvollen Bilder-Symbolismus. Mächtige verschiebbare Wände dominieren die Szenerie, im Hintergrund rauschen Wasser- und Gestirns-Projektionen.

Chinesischen Fantasiekostümen bei Turandot und ihrem Hofstaat steht der gutbürgerliche mitteleuropäische Anzug aus der Entstehungszeit der Oper bei dem "Fremdling" Kalaf und seinen Begleitern gegenüber. Eine hübsche Idee, die freilich mehr Fragen aufwirft als sie beantwortet. Wieso versteckt sich Kalafs Vater, der verarmte, verfolgte Timur, in derart auffälligem feinen Zwirn? Warum sieht Liu, die aufopferungsvolle Sklavin, die ihr Leben für Kalaf hingibt, im Cocktailkleid wie eine gut dotierte Gesellschaftsdame aus?

Wenn dann noch unglückseligerweise der Darsteller des Vaters altersmäßig locker der Enkel seines Sohnes sein könnte, dann entsteht ein Kuddelmuddel, bei dem jemand, der das Werk nicht gut kennt, nur noch Pekinger Bahnhof versteht.

Das freilich ficht die Italiener nicht an, denen bei der Oper der Inhalt reichlich egal ist. Am nächsten Tag wird der Kritiker des "Corriere Adriatico" zur Regie kaum ein Wort verlieren und die Sänger feiern - nicht immer aus gutem Grund. Am ehesten noch beim Calaf des Veteranen Nicola Martinucci, der in den 80ern zu Recht als Gigant in der Rolle mit der Parade-Arie "Nessun Dorma" galt und für einen 67-Jährigen immer noch eine enorme Strahlkraft in der Höhe entfaltet, auch wenn die Mittellage recht fahl geworden ist.

Irina Gordei als Turandot verfügt über eine dunkel-warm timbrierte Stimme, die freilich nach oben nicht die ganz große Durchschlagskraft entwickelt. Leider irrt die Sängerin in ihrer großen Auftrittsarie lange suchend durch die Partitur, ohne exakt Puccinis Töne zu finden. Gut die Liu von Suzana Savic, stark das Minister-Trio Donato di Gioia, Stefano Pisani und Stefano Osbat.

Die Trierer Philharmoniker liefern im Graben eine souveräne, klangschöne und notensichere Arbeit ab, trotz ungewohnter Sitzordnung. "Livello e solida", steht am nächsten Morgen im "Messaggero", solide und niveauvoll. Mehr verlangt der junge Maestro Anthony Barrese auch nicht, der bei seinem Ascoli-Debüt darauf setzt, Pannen und Risiken zu vermeiden - was zu Lasten des Profils und der Tiefenschärfe geht.

Am Ende ordentlicher Beifall des Publikums, gemischt mit leichter Irritation über die "moderne" Ästhetik. Die Produktion, stolze 380 000 Euro teuer, geht jetzt nach Paris-Massy und kommt 2010 nach Trier - dann mit GMD Victor Puhl und Kräften des Hauses.

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