Schlicht überwältigend

LUXEMBURG. Festtag in der Philharmonie: Dirigenten-Legende Nikolaus Harnoncourt, der Concentus musicus Wien, der Arnold Schönberg Chor und sechs exzellente Solisten bereiteten Mozarts fast vergessenem Oratorium "La Betulia Liberata" ein eindrucksvolles Comeback.

 Altmeister der authentischen Aufführungspraxis: Nikolaus Harnoncourt in der Luxemburger Philharmonie. Foto: Gerhard W. Kluth

Altmeister der authentischen Aufführungspraxis: Nikolaus Harnoncourt in der Luxemburger Philharmonie. Foto: Gerhard W. Kluth

Klar, man kennt Nikolaus Harnoncourt. Man weiß, wenn er dirigiert, gibt es kein Podest und keinen Dirigentenstab. Wenn er Mozart aufführt, dann weder mit Patina noch mit Glamour, sondern filigran, transparent und authentisch. Überwältigend schlicht. Schlicht überwältigend. Man weiß es, weil er diesen Musizierstil - mit wenigen anderen - erfunden und gegen unendliche Widerstände durchgesetzt hat. Und doch ist es immer wieder ein neues Erlebnis, den inzwischen 76-Jährigen auf der Bühne zu erfahren. Harnoncourt kommuniziert in jeder Sekunde mit seinen Musikern, wendet sich ihnen buchstäblich zu, fordert Mitspielen statt Gefolgschaft. Da steht kein Guru am Pult, kein in sich versunkener Autist, und die unter Musik-Laien beliebte Frage, warum es einen Dirigenten beim Konzert eigentlich brauche: Beim Betrachten von Harnoncourt käme sie nie auf. Der Concentus musicus dankt die Zuwendung mit einem Engagement für Mozarts Oratorium, das seinesgleichen sucht. Wenn die Handlung etwa Zorn ausdrückt, dann toben die Streicher, als wollte jeder einzelne Musiker persönlich seiner Wut Ausdruck verleihen. Aber die Emotionen sind höchst kontrolliert: Gleichzeitig musizieren die Bläser mit einer Delikatesse, die verhindert, dass sie Sänger oder Streicher zudecken. Das Stück lohnt den Einsatz. "La Betulia liberata" erzählt die alttestamentarische Geschichte von der tapferen Judith, die ihre vom Belagerungszustand mutlos gewordene Heimatstadt Bethulien rettet, indem sie den gegnerischen Feldherrn Holofernes in dessen eigenem Lager köpft. Das Libretto stammt von Pietro Metastasio, Mozart vertonte es im Alter von 15 Jahren als Kompositionsauftrag während seiner ersten großen Italienreise, erlebte aber wohl nie eine Aufführung. Die Musik liegt nahe an seinen frühen Opern, mit sorgfältig ausgearbeiteten Rezitativen und Arien, in der Form noch recht traditionell, aber schon eindeutig in Mozarts Farben. In der Luxemburger Philharmonie steht eine ganze Phalanx vorzüglicher Interpreten zur Verfügung, allen voran die Altistin Marijana Mijanovic als Judith. Eine tiefe Stimme, die außergewöhnlich berührt und verwirrt, reichlich ausgestattet mit jenem Zauber, der von einer Stimmlage ausgeht, die die traditionelle Geschlechterzuordnung aufhebt. Kein tiefer gelegter Mezzo, sondern ein natürlich gewachsener Alt, gewandt, gut geführt. Letzteres gilt nicht minder für den hell timbrierten, kultivierten Tenor Jeremy Ovenden, der sich aus anfänglicher Beklemmung freisingt und dann mit müheloser Leichtigkeit in den schwindelnden Höhen tanzt. Luba Orgonasovas Sopran klingt inzwischen etwas dunkler, kombiniert aber immer noch unnachahmlich eine weiche Ton-Ansprache mit einer kraftvollen Grundierung. Einen in jeder Hinsicht prächtigen basso profondo nennt Franz-Josef Selig sein Eigen, und auch die kleineren Rollen sind mit Eva Liebau und Elisabeth von Magnus nachgerade luxuriös besetzt. Die 44 Sänger vom Schönberg-Chor liefern ein enorm kompaktes, ausgewogenes Klangbild, bei dem der sorgfältige Umgang mit dem Wort besonders in Erinnerung bleibt. Am Schluss prasselnder Beifall von einem Auditorium, in dem sich - gemessen an den Bussen und den Autokennzeichen - einige Hundertschaften aus der Region Trier befinden. Ein starker Auftakt also für die Kooperation von Philharmonie und Moselfestwochen.

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