Schwupps, der Pullover war verschwunden

HAMBURG. Auf der Frankfurter Buchmesse ist Katja Kamm von Stand zu Stand gegangen. Hat ihre Mappe ausgepackt. Konzepte vorgestellt. Zwei Verlage wollten zusammenarbeiten und das angebotene Material veröffentlichen. Für einen der beiden hat sie sich entschieden.

Man braucht eine Menge Glück und Talent, wenn man auf sich aufmerksam machen will. Katja Kamm hat beides gehabt, denn das Buch, das sie nun realisieren konnte, ist ihr Erstlingswerk. Und darin steht kein einziges Wort. Katja Kamm ist Illustratorin, das Buch Teil ihrer Diplomarbeit. "Unsichtbar" heißt der Titel. In grellem Pink erscheint der Einband. Zwei schrille Figuren sind außerdem darauf zu sehen. Es ist ein Bilderbuch, im vergangenen Jahr erschienen. In diesem Herbst wartet die heute 34-Jährige wieder gespannt auf die Buchmesse in Frankfurt. Doch diesmal will sie keinen Verlag suchen. Vielmehr wird dort eine Entscheidung getroffen, die Katja Kamms Arbeit reichlich honorieren könnte. Denn mit "Unsichtbar" ist sie beim Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert - einer der renommiertesten Preise seiner Art in Deutschland. Dabei wird es eine Neuerung geben: Zum ersten Mal vergeben sechs Jugendjurys aus der ganzen Republik den "Preis der Jugend". In Trier beteiligt sich daran das "Friedrich Spee-Gymnasium". In der Kategorie "Bilderbuch", für die "Unsichtbar" nominiert ist, entscheidet allerdings eine Erwachsenenjury aus Kritikern und Experten. Dennoch verbindet Katja Kamm etwas mit der Moselstadt. Nach einer Ausbildung zur Druckvorlagenherstellerin in ihrer Heimat im Schwarzwald hat sie nämlich hier ihr Studium begonnen und zwei Semester an der Fachhochschule Trier im Fachbereich "Kommunikationsdesign" belegt. Schnell wechselte sie zur "Hochschule für angewandte Wissenschaften" in Hamburg. Bereits in Trier hatte sie sich überwiegend mit Illustration beschäftigt, in der Hansestadt konnte sie dies als Schwerpunkt wählen. Nach zwei Auslandssemestern an der State University in New York konzipierte sie am Ende ihre Abschlussarbeit - und erhielt eine 1,0. Zwei der drei Entwürfe, die sie darin vorstellt, sind mittlerweile veröffentlicht. Neben "Unsichtbar" ist vor kurzem "Das runde Rot" im Bajazzo-Verlag (Zürich) herausgekommen. "Gemeinsam ist allen Büchern, dass sie ohne Text auskommen. Sie beschäftigen sich mit visueller Wahrnehmung", erklärt die Grafikerin, die immer noch in Hamburg lebt. Die Idee kam ihr eines Tages rein zufällig. Auf dem Bildschirm ihres Computers machte sie gerade eine flächige Illustration, als sie aus Versehen dem Hintergrund per Mausklick die gleiche Farbe gab wie dem Pulli einer Figur. Natürlich konnte man Kleidungsstück und Hintergrund nicht mehr unterscheiden. "Schwups war der Pullover verschwunden", erinnert sich Katja Kamm. Man könnte auch sagen: Er war unsichtbar geworden. Diese Erfahrung ließ sie nicht mehr los. Eine Reihe von Episoden entstanden am Bildschirm, eine Geschichte, die ausschließlich vom Bild ausgeht. Eine Illustration ist auf der einen Doppelseite "unsichtbar" und wird auf der nächsten wieder "sichtbar". Einem Jungen fehlt zum Beispiel das Hemd, dann sieht man nur die Gesichter, Hände, Füße und Rosenkränze einer Gruppe Nonnen. Ihre Kleidung deckt das Lila der Grundfläche. Trotzdem ergänzt das menschliche Auge die fehlenden Teile ganz automatisch. Um die Arbeitsbedingungen zu verbessern, hat Katja Kamm in Hamburg mit zehn anderen Illustratoren das "Atelier Amaldi" gegründet hat, eine Art Bürogemeinschaft, in der jeder frei zeichnet und eigene Kunden bedient. "Unsichtbar" verlegt der Peter-Hammer-Verlag, Wuppertal. Dieser Verlag hat sich einen Namen für Belletristik aus Afrika und Lateinamerika gemacht. Autoren wie Aniceti Kitereza, Ngugi wa Thiong`o, Gioconda Belli oder Ernesto Cardenal sind unter Vertrag. Außerdem gilt "Peter Hammer” als wichtige Adresse für Sachbücher über Themen der südlichen Kontinente, für engagierte politische Literatur - und unkonventionelle Kinderbücher. Das prominenteste Beispiel heißt: "Der Kleine Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat" von Werner Holzwarth. Im Verlagsprogramm steht geschrieben, dass "Niedliches und Kindertümelndes" keinen Platz habe. Dafür sorgt Wolf Erlbruch, der heute einer der berühmtesten Kinderbuch-Illustratoren ist und dessen Maßstäbe die Kinderbuch-Abteilung schätzt. Kaum verwunderlich also, dass gleich drei Titel des Peter Hammer-Verlags für den Jugendliteraturpreis nominiert sind. Neben Katja Kamm sind dies Hermann Schulz "Wenn dich ein Löwe nach der Uhrzeit fragt" (Sparte Kinderbuch) und Marie Sellier/Marion Lesage "Sag mir, wie ist Afrika" (Sparte Sachbuch). Es scheint demnach die richtige Entscheidung für Katja Kamm gewesen zu sein, sich für "Peter Hammer" zu entscheiden. "Ich konnte mich dort einfach gut sehen", meint sie und: "Es ist ein Traum, hier sein erstes Buch zu machen." Katja Kamm: Unsichtbar. Peter Hammer Verlag, Wuppertal, 12,90 Euro.

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