Seelenlose Seelen Noch auf dem Barhocker

Im letzten Jahr räumte Franz Grundheber mit der Oper "Wozzeck" im Trierer Theater mächtig ab. Nun hat das Publikum die Chance, das Original-Schauspiel "Woyzeck" von Georg Büchner zu erleben. Allerdings in einer ganz besonderen Trierer Fassung - und mit Live-Musik von Michael Kiessling. Neue Wege im Theater - auch bei der Werbung für Produktionen. So lud man das interessierte Publikum zu einem Gratis-Konzert ins "Forum" ein, wo Michael Kiessling die "Woyzeck-Musik" vorstellte.

 Probenarbeit zu Woyzeck mit (v.l.) Hauptdarsteller Paul Steinbach, Michael Kiessling (Musikalische Leitung, Einstudierung, Sänger) und Theaterintendant Gerhard Weber (Inszenierung). TV-Foto: Friedemann Vetter

Probenarbeit zu Woyzeck mit (v.l.) Hauptdarsteller Paul Steinbach, Michael Kiessling (Musikalische Leitung, Einstudierung, Sänger) und Theaterintendant Gerhard Weber (Inszenierung). TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. Irgendwas Besonderes muss dran sein an dieser Geschichte vom Soldaten Woyzeck, dem ewig Gemobbten, für medizinische Experimente missbrauchten, von Wahnvorstellungen verfolgten Leidensmann, der das Einzige umbringt, was er wirklich liebt: seine Freundin Marie. Georg Büchner starb 1837, ganze 23 Jahre alt, ohne das Stück vollenden zu können, die Fragmente gingen verloren, wurden falsch rekonstruiert, verschwanden wieder in der Versenkung. Und doch strahlten diese Trümmer eines Schauspiels so viel Kraft aus, dass es - nach 77 Jahren endlich uraufgeführt - zu einem der meistgespielten Klassiker im 20. Jahrhundert wurde.Die sprachliche Reduzierung des manchmal nur aus Satzfetzen bestehenden Textes schreit offenbar nach musikalischer Untermalung. Zwei Opern setzten den Stoff um, etliche Hörspiele, Bühnenmusiken, eine Jazz-Version, ein Musical. Nun wird auch Trier seinen "Woyzeck" mit einem aufwendigen, in die Handlung integrierten "Soundtrack" auf die Bühne bringen. Dafür kommt Michael Kiessling eigens aus Berlin in seine Heimatstadt zurück.

Kiessling gilt als bundesweit geschätzter Spezialist für das eigentlich Unsingbare. Gegen sein Reibeisen-Organ klingen die Stimmbänder von Joe Cocker oder Rod Stewart nachgerade aalglatt. Aber einer wie Kiessling wird auch gebraucht, stammen doch die Songs, mit denen Intendant Gerhard Weber seine Inszenierung untermalt, von Tom Waits und Nick Cave. Die beiden Großmeister des geschrägten Liedes, der düsteren Ballade, des romantischen Zynismus' haben sich bereits intensiv mit "Woyzeck" auseinandergesetzt. Die Atmosphäre ihrer Musik scheint bestens geeignet für Büchners Höllenfahrt einer Rand-Existenz.

Musik für Grenzsituationen

Kiessling benennt die Gemeinsamkeiten zwischen Musik und Schauspiel: "Bei beidem geht es um Sehnsucht, Außenseitertum, seelenlose Seelen". Dramaturg Peter Oppermann nennt Waits und Cave "Musik für Grenzsituationen".

Eine solche Grenzsituation wird gerade auf der Bühne des Trierer Theaters geprobt. Woyzeck, gespielt von Ensemble-Neuling Paul Steinbach, greift im Moment der größten Erniedrigung nach der Waffe. Er wird, das zeichnet sich ab, nicht nur Marie in den Tod reißen. Kein schwächliches Opfer, sondern einer, der auch zurückschlagen kann. Die Szene wirkt aktuell, trotz der künstlichen Bewegungsabläufe. Regisseur Weber setzt offenkundig eher auf stark choreographisch geprägte, artifizielle Bilder als auf das, was er "Butzenscheiben-Naturalismus" nennt.

Dabei hilft ihm das klotzige, eine Industrielandschaft andeutende Bühnenbild, das Studenten der Trierer Fachhochschule entworfen haben. Ein aus Trier stammender Musiker, Trierer Studenten: Webers konsequentes Setzen auf lokale Kooperationen prägt auch seine eigene Produktion. Sogar Video-Kunst aus dem Gestaltungs-Fachbereich der FH hat er integriert. "Dafür musste ich Mitte 50 werden", lacht er, "um mit dieser Form zu arbeiten".

Man erhofft sich einiges von diesem Experiment, vor allem einen Schritt Richtung neue Publikumsschichten. In die intensive Vorbereitungsarbeit wurden Lehrer eingebunden, gehört doch der "Woyzeck" auch zum Kanon der klassischen Deutsch-Lektüren. Ab Klasse 10 sei das Stück für Schüler geeignet, versichert Theater-Pädagogin Sylvia Martin.Im Mai wird das Stück auch im Kapuzinertheater Luxemburg zu sehen sein. Noch ein Markstein in Sachen Kooperation.

Vorstellungen: 26. Januar (Premiere), 29. Januar; 6., 8., 22. Februar. Karten: 0651/7181818. Trier. (DiL) Das stockdustere Dancefloor-Ambiente im alten Franzosenkino bot einen idealen Rahmen für die nicht unbedingt heiteren Kostproben aus den Titeln von Tom Waits und Nick Cave, die Kiessling und seine Band servierten. Neben seinen festen Berliner Begleitern Matthias Behrsing (Klavier) und Jens Saleh (Bass) hat der Sänger auch die Trierer Edel-Gewächse Fred Noll (Schlagzeug) und Stephan Völpel (Gitarre) dazugeholt - letzterer war schon am 30. Dezember 1994 dabei, als Kiessling im Theater Trier bei der Revue "Forget it" seine ersten Tom-Waits-Songs intonierte.

Am Samstag bei der Premiere muss der Sänger sich auch als Darsteller auf der Bühne bewähren - diesmal durfte er auf dem gewohnten Barhocker sitzen bleiben. Im voll besetzten Saal lauschte man dem zynisch-harten "Misery is the river of the world" (Waits) und dem derben "Stagger Lee" (Cave) ebenso aufmerksam wie dem sanft-tristen "Lullaby" (Waits) und dem hinterlistig-poetischen "Where the wild roses grow" (Cave).

Ein knappes Dutzend Titel haben Sänger Kiessling und Dramaturg Peter Oppermann für den Trierer "Woyzeck" ausgesucht - am Ende steht mit "Death is not the end" ein Bob-Dylan-Song. Das Publikum im Forum tauchte tief in die Stimmungen der krassen Musik ein, ließ sich schon mal treiben in Richtung Premiere.

Angesichts des begeisterten Beifalls ließ sich der wie stets in schwarzes Anzug-Tuch gewandete Sänger nicht lumpen und servierte zwei (leider) nicht für Woyzeck vorgesehene Waits-Klassiker, darunter "Tom Traubert's Blues".

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