Sehnsucht nach Vereinigung

TRIER. Mit seinem Programm "Dance of Joy" begeisterte Klarinetten-Virtuose Giora Feidman in kleiner Trio-Besetzung das Trierer Publikum in der ausverkauften Kirche St. Maximin.

Schon in der ersten Minute erkennt man bei Giora Feidmans Konzerten, wer im Publikum zu den Debütanten gehört. Es sind diejenigen, die sich überrascht umblicken, wenn irgendwo in der Halle ein leiser Klarinettenton erklingt. Die Mehrheit kennt das Auftakt-Ritual: Feidman macht sich auf die Wanderschaft durch den Saal, mit zarten Piano-Tönen, einsam, scheinbar selbstvergessen. Dann entdeckt er das Publikum, lässt es einen Basis-Ton summen, auf dem er sich in Schwindel erregende Höhenflüge begibt. Und weil tausend Menschen als Gruppe genug Luft haben, um einen Ton endlos aufrecht zu erhalten, ist auch Feidmans Improvisation keine Grenze gesetzt. Manchmal variiert er per Handzeichen den Ton im Saal, als drehe er am Knopf eines imaginären Verstärkers. Der Klang ist imposant in der mächtigen Alt-Basilika, sogar in den hinteren Reihen. "A Tempel is a Tempel, egal, was man draus macht", sagt der Künstler und blickt amüsiert auf die Basketballkörbe der heutigen Turnhalle. Mozart wird Gemeinschaftsproduktion

Fast alles in Giora Feidmans Konzerten hat Symbolcharakter. Vor allem das faszinierende kollektive Erlebnis, aktiv mitzuwirken bei der Entstehung von Musik. Das Adagio aus Mozarts A-Dur-Klarinettenkonzert wird so zu einer bewegenden Gemeinschaftsproduktion. Aber das hat nichts Triviales, so wenig wie die Appelle des Künstlers zum friedlichen Zusammenleben, zum Überwinden von Gegensätzen. Denn Feidman beglaubigt jeden Satz, den er sagt, mit seiner Musik. Auf Mozart lässt er nahtlos Scott Joplins "Entertainer" folgen, um anschließend mit einem Charlie-Parker-Klassiker seinen brillanten Mit-Musikern Jens-Uwe Popp (Gitarre) und Guido Jäger (Kontrabass) Raum für eine jazzige Selbstdarstellung zu geben, bevor dann Donovans Schnulze "Donna Donna" eine wunderbare Ehrenrettung erfährt. Das alles auf engstem Raum, ohne Übergänge - nicht einmal für Beifall bleibt Zeit. Die Sehnsucht nach der Vereinbarkeit von Gegensätzen ist das Leitmotiv des Programms. Am greifbarsten vielleicht in der musikalischen Vereinigung der Nationalhymnen Israels, Palästinas und Deutschlands. Beileibe kein "schenes Gulasch", wie Feidman augenzwinkernd sagt, sondern eine eindrucksvolle musikalische Antwort auf seine fast kindliche Frage, warum es Krieg geben muss, "wo es doch so einfach ist, friedlich zusammenzuleben".Schubert: Zartheit und Erdenferne

Wie das geht, zeigt er immer wieder in der Musik. Da verbinden sich "Fiddler on the roof"-Gefühle mit arabischen Tanz-Klängen, da vertragen sich bayerischer Landler und "Hava Nagila". Die Spannbreite des Repertoires entspricht der Vielfalt von Gefühlen, die Feidman seiner Klarinette entlockt. Da sind, etwa bei Schuberts "Ave Maria", Töne von solcher Zartheit und Erdenferne, dass man kaum glauben mag, dass sie dem gleichen Instrument entstammen wie die schrillen Blue Notes oder die vertrackten Finessen einer Prokofiew-Ouvertüre. Die Vision vom gleichberechtigten Miteinander leben auch die drei Männer auf der Bühne vor. Sorgfältig hat man Podeste und Hocker so abgestimmt, dass sie buchstäblich auf Augenhöhe musizieren. "I don' t understand anything about Politik, ich spiele nur Klarinette" , sagt Feidman. Dabei sind zwei Stunden mit seiner versöhnenden Poesie politischer als zwei Jahre Christiansen. Fotos in unseren Clickme-Galerien

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