Shakespeare ohne Patina

HANNOVER. Unkonventionell, frech, begeisternd: Als Musical setzt Triers künftiger Intendant Gerhard Weber bei "seinem" Open Air in Hannover Shakespeares "Sommernachtstraum" in Szene.

Die alte Dame nebenan schaut leicht irritiert. Dass König Theseus da vorn auf der Freilichtbühne "das Partyvolk Athens" aufruft, sich zu versammeln und "die Depressiven geradewegs zum Friedhof" zu schicken, klingt doch etwas anders als der Shakespeare ihrer Schulzeit. Als die Handwerker aus dem Zwischenspiel ihre Schauspiel-Aufführung als "Hammer, Straßenfeger und Quotenbringer" anpreisen, wirkt sie schon amüsiert, als Elfenkönig Oberon und Hofnarr Puck ihren "Feldversuch" im Wald starten, lacht sie lauthals los. Einmal zuckt sie leicht, als Lysander sein Verhältnis zu Hermia als "schwanzgesteuert" beschreibt - aber am Ende gehört sie zu den vielen, die minutenlang unermüdlich die Akteure auf die Bühne zurück klatschen. Präzise Sprache, bestens spielbar

Man täte Liedermacher Heinz-Rudolf Kunze unrecht, würde man seine Arbeit auf die poppig-peppigen Wendungen aus der Alltags-Sprache reduzieren. Sein Sommernachtstraum ist ohnehin mehr eine Shakespeare-Nachempfindung als eine Übersetzung. Aber der Liedermacher verletzt die Strukturen Shakespeares nicht, seine - übrigens hervorragend spielbare - Theatersprache ist präzise und differenziert auf die jeweiligen Handlungsebenen abgestimmt. Vergleichbares ist, auf umgekehrtem Weg, nur Howard Brenton gelungen, der in den Neunzigern Goethes deutschen Klassiker "Faust" für die Royal Shakespeare Company in lebensnahes Englisch übertrug. Klar, Kunze liefert "Shakespeare light". Aber es ist nicht die Substanz, die er eliminiert, sondern die Patina. Der Sommernachtstraum wird wieder das, was er zum Zeitpunkt seiner Entstehung war: Pralles Volkstheater, voll von aktuellen Anspielungen, mal Kabarett, mal Comedy. Genau so hat es Gerhard Weber auch in Szene gesetzt. Turbulent, überdreht, handwerklich brillant gearbeitet - auch wenn er dem Affen gelegentlich so viel Zucker gibt, dass diesem, wäre er Diabetiker, der Fall ins Koma drohte. Vor allem aber ist das Stück traumhaft in den Raum inszeniert. Man spielt in den Herrenhäuser Gärten, einem grandiosen Park, inmitten dichter Heckenlabyrinthe. Spielfläche ist ein breiter, von goldenen Statuen gesäumter Gang, den Bühnenbilder Manfred Breitenfellner - seine Qualitäts-Arbeiten sind in Trier bestens bekannt - mit allerlei fantasievollen Figuren und Accessoires ausgestattet hat. Die Inszenierung arbeitet sich im Verlauf des Stücks immer weiter in die Fläche hinein, zieht den gebannten Zuschauer förmlich mit in den Raum. Dazu tragen auch die fabelhaften, farbenprächtigen Kostüme von Petra Beyer bei, angesiedelt irgendwo zwischen Loveparade und Karneval in Rio. Allein die optischen Eindrücke aus Bühnenbild, Kostümen und Lichtregie machen den Abend zum Ereignis. Es wird exzellent gespielt und passabel gesungen. Gerhard Weber verlässt sich mit Recht auf das eigene Ensemble der Landesbühne. Stars hat er selbst, etwa mit Jens Krauses "Puck", einem tänzelnden, trippelnden, schleichenden Bewegungsgenie, halb Pumuckl, halb Frank'n'Furter. Schwachpunkt der Produktion ist, kurios für ein Musical, ausgerechnet die Musik. Heiner Lürigs Soundtrack ist aalglatter, klischeehaft-gefälliger Mainstream-Pop - dafür ist Shakespeare eigentlich zu schade. Da ist man, etwa von Frank Nimsgerns Saarbrücker Arbeiten, Besseres gewohnt. Und doch: ein lohnenswertes Experiment. 20 Vorstellungen sind angesagt, viele schon ausverkauft. Und der Intendant wird sein Faible für klassische Stoffe in Musical-Form mit nach Trier bringen. "Quo vadis" oder "Ben Hur" als Römer-Musical im Amphitheater, vielleicht mit Musik von einem Kaliber wie Konstantin Wecker - man wird, nach diesem Abend in Hannover, schon mal träumen dürfen.

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