"So muss ein Museum sein!"

Der Deckname des Fotografen lautete "xyz". Hinter dem ominösen Kürzel verbarg sich ein Mann namens Richard Perlia. Am Vorabend des 17. Juni 1953 hatte der Fotoreporter einen Anruf des damaligen Chefredakteurs des "Weddinger Kuriers" und späteren Ministers für gesamtdeutsche Fragen, Ernst Lemmer, erhalten.

 Heimkehrer aus der Kriegsgefangenschaft trugen das Wenige, das sie besaßen, auf dem Leib — meist provisorisch zusammengeflickt wie dieses Paar Schuhe. TV-Foto: Gabriela Böhm

Heimkehrer aus der Kriegsgefangenschaft trugen das Wenige, das sie besaßen, auf dem Leib — meist provisorisch zusammengeflickt wie dieses Paar Schuhe. TV-Foto: Gabriela Böhm

 Jeder vierte Deutsche suchte nach dem Zweiten Weltkrieg einen Vermissten. Die Kirchen und das Deutsche Rote Kreuz sorgten dafür, dass sieben Millionen Menschen wieder zurück fanden.TV-Foto: Gabriela Böhm

Jeder vierte Deutsche suchte nach dem Zweiten Weltkrieg einen Vermissten. Die Kirchen und das Deutsche Rote Kreuz sorgten dafür, dass sieben Millionen Menschen wieder zurück fanden.TV-Foto: Gabriela Böhm

Er sollte Aufnahmen eines Streiks in Ost-Berlin machen. Fast ein Ding der Unmöglichkeit, schließlich untersagten die sowjetischen Besatzungsmächte und die Sozialistische Einheitspartei (SED) jede freie Fotoreportage in Ost-Berlin und der DDR. Perlia gelang es dennoch, die spektakulären Bilder vom Volksaufstand in Ost-Berlin am 17. Juni 1953 und seiner gewaltsamen Niederschlagung zu schießen und die Negative in den Westen zu bringen. Die brisante Fotoserie ging später um die ganze Welt. Ihr Urheber wagte das Geheimnis um seinen wahren Namen erst 13 Jahre nach der Wende zu lüften. Schließlich hatte er die Unruhen mit einer Geheimkamera fotografiert: einer etwa Zigarettenschachtel großen "Robot II", getarnt in dem ausgehöhlten Wälzer "Der unerschöpfliche Ratgeber — Ein Handbuch für das deutsche Haus".Die Geheimkamera ist ein Exponat von vielen, das eine hochspannende Geschichte erzählt und einen bedeutenden Abschnitt deutscher Zeitgeschichte dokumentiert. Ausgestellt ist sie im Bonner Haus der Geschichte (HDG). Rund 940 000 Besucher kamen allein im vergangenen Jahr in das Dokumentationszentrum, das die deutsche Geschichte von 1945 bis heute beeindruckend widerspiegelt und einen Tagesausflug (auch für Schulklassen) mehr als wert ist. Dokumente des zerstörten Deutschlands, des Elends der Menschen in der Kriegs- und Nachkriegszeit, die Entwicklung zu einem blühenden Wirtschaftsstandort, der Kalte Krieg und Umweltproblematik — nirgends ist man der jüngeren deutschen Geschichte näher als im HDG.Sechs Jahre nach dem Krieg: Bundeskanzler Konrad Adenauer hat einen Mercedes-Benz 300 als Dienstfahrzeug. Der Freund hoher Geschwindigkeiten ermuntert seine Fahrer mit dem legendären "Jeben Se Jas!". Als er 1955 mit dem Flugzeug nach Moskau reist, werden seine Begleiter in einem "Diplomatensonderzug" befördert. Neben Adenauers Salonwagen wird ein Autoverladewagen mit dem Kanzlerauto nach Moskau befördert — dort sorgt der mitgebrachte 300 bei Passanten und Fotografen für Furore. Seit der Eröffnung des HDG im Jahr 1994 ist der "300" dort ausgestellt, sein abenteuerlicher Weg bis nach Amerika führte ihn schließlich wieder zurück nach Deutschland. Adenauers Salonwagen, sein rollender Regierungssitz, bildet im Untergeschoss des HDG die U-Bahn-Galerie.Authentisches Material verführt zum Anfassen, Zuhören, Durchblättern deutscher Geschichte. Ein "Rosinenbomber" als Symbol für den Kampf um Berlin erinnert an die größte zivile Luftbrücke in der Geschichte der Luftfahrt. Auch die alte DC 3 erzählt spannende Geschichte: Buchstäblich in letzter Sekunde rettete das HDG das Flugzeug, eigentlich sollte es tags darauf in Barcelona als Übungsobjekt für die Flughafenfeuerwehr "abgefackelt" werden. Ebenfalls im Original ausgestellt mit Möglichkeit der Stimmabgabe mit "Bauchladen" vermitteln die von Spöttern titulierten Schwingstühle (gemeint sind abschließbare Pulte) das Arbeitsgefühl der deutschen Abgeordneten im Plenarsaal des Bundestags bis 1987. Wer in das HDG kommt, wird schwerlich bei einem einzigen Besuch die gesamte Ausstellung en detail erfassen. Die Ausstellungsmacher geben sich alle Mühe, auf mehreren Etagen hinter jeder Ecke den Besucher aufs Neue zu überraschen: Historische Debatten, lebensgroße Objekte, Filmausschnitte mit der Knef, Gastarbeiter, Friedensmärsche. Die Informationsflut ist gewaltig, die Art der Präsentation bis in die heutige Zeit sehr vielseitig und abwechslungsreich. Und auch komisch: Wenn etwa der vor Jahrzehnten als "letzter Schrei" gehandelte Koffer-Schallplattenspieler bei dem erwachsenen Besucher für Wiedersehensfreude, beim Nachwuchs aber für mitleidiges Stirnrunzeln und Kopfschütteln sorgt. Oder die original-italienische Eisdiele zu einem Tänzchen verführt — bei Rock 'n' Roll, versteht sich.Die Dauerausstellung widmet sich der zentralen Frage des Verhältnisses der beiden deutschen Staaten zueinander. Daneben gibt es Wechsel-, Wander- und Foyerausstellungen, Feste, Symposien, Lesungen, Filmabende und museumspädagogische Aktionen. Für Aufbau und Entwicklung des HDG sorgte bis vor einem Jahr der Trierer Professor Hermann Schäfer. "Die Ausstellung ist ein bisschen zu brav, aber das spiegelt die Tragik von Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wider", lästerte die niederländische Zeitschrift "Historisch Nieuwsblad" vor knapp drei Jahren. Dennoch vergab das Blatt den ersten Platz im "Großen ausländischen Museumstest" an das HDG. Begründung: "Es ist ein herausragendes Museum. Es ergreift uns, amüsiert uns und macht uns klüger. So muss ein Museum sein!" Gabriela BöhmHaus der Geschichte, Museumsmeile, Willy-Brandt-Allee 14, Bonn; www.hdg.de. Der Eintritt ist kostenlos; es gibt ein Museumsrestaurant. Ausführliches Begleitmaterial im Museumsshop.

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