So reserviert wie detailliert

PRÜM. "Wer bin ich, wenn ich liebe?" Dieser Frage geht Bodo Kirchhoff in seinem neuen Roman "Wo das Meer beginnt" nach. Erklärungsversuche lieferte der Autor am Freitag beim Eifel-Literatur-Festival in Prüm.

Das Eifel-Literatur-Festival zieht seine Besucher inzwischen auch zu den Lesungen der weniger populären Schriftsteller mit alternativloser Selbstverständlichkeit an. Ob sich am Freitag auch Bodo Kirchhoff über den ausverkauften Prümer Fürstensaal gefreut hat, mag sein Geheimnis bleiben. Der Erfolgsautor zeigte sich jedenfalls von der Begrüßung bis zur letzten Signatur ebenso reserviert wie unnahbar. Dabei hatte der 56-Jährige eigentlich allen Grund, als jemand mit der Gunst zu literarischer Höchstleistung ausgestattet, einen furiosen Abend zu bestreiten. Als einen Schriftsteller, der die Kunst des Unterhaltens auf hohem Niveau beherrsche, als einen klugen Beobachter, der durch psychologisch genaue Studien menschlicher Abgründe besteche und als vielleicht den einzigen erotischen Erzähler von Rang in Deutschland hatte ihn Festival-Chef Josef Zierden bezeichnet. Mit dieser Einschätzung lag Zierden einmal mehr richtig. Kirchhoffs Geschichte vom Gymnasiasten Viktor Haberland, der nach einem "Vorfall" mit seiner Mitschülerin Tizia im Anschluss an die Theaterprobe zu Shakespeares Sommernachtstraum eine ebenso vor Vermutungen strotzende wie (für die Teilnehmer) entlarvende Lehrerkonferenz heraufbeschwört, ist das Drama einer Jugend, das sich zwölf Jahre später in der Rückblende ein zweites Mal abspielt. Das Lexikon der Gegenwartsliteratur hat "das kühle, detaillierte und so zugleich völlig distanzlose Beschreiben", Kirchhoffs bereits 2003 gewürdigt: "Und den Vorwurf der Frauenfeindlichkeit eingetragen hat Kirchhoff die Reduktion seiner weiblichen Figuren zu reinen Begierde- und Beobachtungsobjekten seiner männlichen voyeuristischen Protagonisten, wobei gern übersehen wurde, dass darin gerade deren Unzulänglichkeit entlarvt wurde." Josef Zierden indes sprach am Freitag zwar nicht direkt von Unzulänglichkeiten; ein paar Seitenhiebe auf die Neuorientierung des Festivals konnte er sich allerdings nicht verkneifen. "Es hätte sein können, dass man sprachlos wird in diesen Tagen, die für das Festival so schwer sind". Ausdrücklich lobte Zierden seine Familie als heimlichen Sponsor: "Sie macht sehr viel; nur eine Rechnung hat sie mir noch nicht geschrieben." Die nächste Lesung ist am Freitag, 8. Oktober, 20 Uhr, im Haus Beda in Bitburg mit Leoluca Orlando.

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