Solide Pflicht, brillante Kür

Trier · Max Regers Mozart-Variationen sind ein sinfonisches Schwergewicht. Man spürte an jeder Geste: Im 4. Sinfoniekonzert nahmen die Trierer Philharmoniker und Victor Puhl diese Musik ganz ernst. Bis aus dem Dickicht der abschließenden Fuge das Mozart-Thema aufstieg - stark, aber befreiend und ohne Pomp: nach der Pflicht die Kür.

 Wächst im Konzert in Trier über sich hinaus: Rie Koyama, deutsche Fagottistin mit japanischer Herkunft. Archiv-Foto: privat

Wächst im Konzert in Trier über sich hinaus: Rie Koyama, deutsche Fagottistin mit japanischer Herkunft. Archiv-Foto: privat

Foto: Dorothee Falke (g_kultur

Trier. Es war wie beim Eiskunstlauf. Vor der Kür hatten Generalmusikdirektor (GMD) Victor Puhl, das Philharmonische Orchester Trier und Fagott-Solistin Rie Koyama im 4. Sinfoniekonzert erst einmal die Pflicht zu absolvieren. Mozarts Haffner-Sinfonie entfaltete einen hell klingenden Festglanz, und auch in Carl Maria von Webers Fagottkonzert wurden die Klangkonturen geschärft, durften sich Trompeten und Pauken maßvoll ausspielen.
Rie Koyama, die deutsche Fagottistin mit japanischer Herkunft, bestach mit ihrem enorm großen, in der Farbe sehr eigenständigen Ton. Freilich blieb zu vieles tatsächlich nur Pflicht. Der Haffner-Sinfonie, die so heikel zwischen sinfonischem Gewicht und serenadenhafter Leichtigkeit jongliert, klang bei Puhl und den Philharmonikern beinahe preußisch geradeaus und im langsamen Mittelsatz ohne Salzburger Charme. Auch bei Webers Konzert blieb der begeisternde Funke aus. Koyama spielte ihren Part solide, volltönend, im kleinen Detail freilich nicht ganz perfekt. Puhl und das Orchester begleiteten sauber, aber wenig inspiriert.
Dann war die Pflicht erledigt - und mit einem Mal steigerten sich die Interpreten in eine glänzende, eine brillante Kür.
Rie Koyama wuchs in Paul-Agricole Génins Variationen über "Mein Hut, der hat vier Ecken" (Oder auch: "Ein Hund kam in die Küche") über sich hinaus. Da bestach sie nicht nur mit ihrer stupenden Instrumentenbeherrschung. Es war mehr: Eine überbordende Musizierfreude ein mitreißendes Spiel der Klangfarben und Klangfiguren. Das Fagott wird zum klingenden Komödian-ten. Und die Philharmoniker nehmen die solistischen Impulse auf und geben dem Streichersatz so viel Augenzwinkern mit, dass seine wenig subtile Machart gar nicht auffällt.
Ausverkauftes Haus


Und dann, nach der Pause, Regers Mozart-Variationen und mit ihnen ein Schwergewicht der Orchestermusik. Da deutete jede Bewegung, jede Geste auf der Bühne an: Orchester und Dirigent nehmen diese Musik ganz, ganz ernst. Sie dehnen die Pausen zwischen Variationen, sammeln und bündeln immer wieder ihre Kräfte. Mit Erfolg. Regers diffiziler Orchestersatz ertrinkt nicht in durchschnittlichem Grau-in-Grau, sondern entfaltet eine beeindruckende Fülle von gedeckten Klangfarben.
In der achten Variation, in der Reger die Bindung an das Mozart-Thema weitgehend aufgibt, bestechen die Interpreten mit großen, sinfonischen Höhepunkten und zahllosen Nuancen. Klingt da nicht etwas von der Sinfonik Frankreichs mit - Franck, Vincent d'Indy, Chausson, Ropartz, vielleicht sogar Debussy, dessen Musik Reger kannte und aufführte? Jedenfalls gaben der Trierer GMD und sein Orchester dieser Musik Charakter und Konturen. Vor allem in der diffizilen Schlussfuge sucht Puhl den engen Kontakt zu seinen Musikern, beugt sich weit über sein Notenpult, dirigiert die Details penibel aus.
Die Philharmoniker kämpfen sich mühsam aber erfolgreich durch das Dickicht von Regers Polyphonie. Bis sich die Anklänge an Mozarts Vorlage immer weiter verdichten und das Thema am Ende mit Hörnern und Trompeten dominiert. Aber dieser Schluss kommt nicht wilhelminisch triumphierend daher. Er klingt anders: offen, befreit und zugleich befreiend für Hörer und Interpreten - wie eine Kür nach der Pflicht. Der Jubel unter den gut 600 Besuchern im ausverkauften Theater war groß. Das Publikum hat Victor Puhl und die Philharmoniker längst in sein Herz geschlossen. mö

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