Soundtrack zum Sommernachtstraum

TRIER. In taufrischem Zustand präsentierte sich, 37 Jahre nach der Gründung, die Band "Jethro Tull" bei ihrem Konzert in der Trierer Messehalle. Vor rund 800 Zuschauern gab es ungewohnt viele lyrische Töne.

"Schöne alte Welt", sagt der von auswärts angereiste Konzert-Haudegen am Ende der Ticket-Schlange zu seiner Freundin. Gerade hat er die Registrierkasse entdeckt, aus der heraus die dekorativ-bunt bedruckten Eintrittskarten verkauft werden. "Dass es so was im Computer-Zeitalter noch gibt", wundert sich seine Begleiterin. Drinnen in der Halle wird aus einem rollenden Verkaufsstand dünnes Bier in dünnwandigen Cola-Plastikbechern verkauft - der zeitgenössische Begriff "Catering" meint etwas anderes. Der Konzert-Beginn lässt lange auf sich warten, unter der Decke steht blickdicht der Zigaretten-Qualm - alles wie früher halt. Nur dass die Band mehrfach inständig bittet, das Rauchen einzustellen, ist neu. Doch das nostalgische Ambiente täuscht. Schon die exzellente Beschallungs-Anlage, die die Tücken der Messehalle mühelos im Griff hat, ist voll auf der Höhe des 21. Jahrhunderts. Und es dauert keine fünf Minuten, um festzustellen, dass Ian Anderson und seine vierköpfige Begleit-Truppe nicht minder up to date sind. Gut: Der 58-Jährige tanzt nicht mehr pausenlos wie ein Derwisch und springt nicht mehr ohne Unterlass wie ein Faun über die großformatige Bühne. Und seine Stimme kämpft mit den Höhen. Aber die beschwörende Magie des Geschichtenerzählers ist noch da, auch der Zauber des Zwiegesprächs zwischen der Querflöte und den Stimmbändern, Andersons Markenzeichen seit vier Jahrzehnten. Jethro-Tull-Tourneen sind nie gleich. Zuletzt kam die Band mit klassischem Orchester in die Hallen, davor fetzte sie derart heftig, dass ihr der britische Heavy-Metal-Award verliehen wurde. Tull 2005 ist wieder eine Überraschung. Man hat die alten Alben nach folkloristischen Klängen durchforstet und ist reichlich fündig geworden. Bekannte Songs wie "Jack-in-the green", aber auch lange nicht gehörte wie "The weathercock" oder "Mother Goose" prägen das Programm. Flöte, Akkordeon, Klampfe, Percussion: Jethro Tulls musikalische Qualität reicht locker für "unplugged". Manchmal klingt es wie ein genialer Soundtrack zu Shakespeares "Sommernachtstraum", mit Ian Anderson als umtriebigem Waldgeist Puck. Man leistet sich den Luxus, weite Programm-Passagen mit Raritäten zu bestücken, ohne dass es der blendenden Stimmung in der Halle Abbruch tut. Wer an diesem Abend da ist, kommt nicht aus Langeweile oder Zufall. Und schon gar nicht, um voyeuristisch zu gaffen, ob die alten Herren noch ohne Sauerstoffzelt auf der Bühne auskommen. Es sind Fans und Kenner, die vom ersten bis zum letzten Titel so ausgelassen feiern, dass zwischen den einzelnen Liedern kein einziger Moment applausfreier Ruhe einkehrt. Das fördert auch die Stimmung oberhalb der Bühnenkante. Ian Anderson reißt den einen oder anderen selbstironischen Witz ("Kommen wir zu einem unserer neueren Songs - er ist von 1976") und führt mit schrägem Humor durchs Programm. Und irgendwann, natürlich, darf dann Gitarrist Martin Barre bei "Locomotive Breath" und "Aqualung" auch die Saiten-Sau rauslassen. Eine wunderbar verjazzte "Bourree" ("von Bach, der ist noch 50 Jahre länger im Geschäft als ich"), eine Monumental-Version von "Thick as a brick": Anderson gibt's den Seinen. Wenn das die schöne alte Welt ist: Mehr davon.

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