Spannung unterm Cape

TRIER. (mö) Das wechselhafte Wetter schadete nicht. Trotz einiger Regentropfen entwickelte sich die "Rocky Horror Show" im gut besuchten Amphitheater Trier zum echten Kult-Erlebnis.

Überm Amphitheater hängen dunkle Regenwolken. Nicht gerade das Ideal für Open Air, aber genau die richtige Stimmung für die "Rocky Horror Show". Außerdem ist das Trierer Freiluftpublikum ja Kummer gewohnt. Richard O'Briens Kultmusical spielt in den grauen Vorzeiten, in denen es noch keine Handys gab. Darum müssen Brad und seine Verlobte Janet irgendwo klingeln, als ihr Auto streikt, um per Telefon die Pannenhilfe zu alarmieren. Die erscheint nicht, dafür tummelt sich ein Schwarm von obskuren Gestalten im verfallenen Haus. Frank‘N'Furter, sexuell nach allen Seiten offen, hat einen Menschen konstruiert und testet gerade das Resultat. Rocky, das Geschöpf des Transvestiten präsentiert sich wunschgemäß als allzeit bereites Sexualobjekt. Damit steht der Dauerorgie nichts mehr im Wege. Ungefähr jeder treibt's mit jedem, und das Stück endet wie eine Wagner-Oper: Die meisten haben ihr lustvolles Leben ausgehaucht, bevor sie zum Applaus auferstehen. Gruselstimmung aus dem Seifenkarton? Macht nichts. Erstens appelliert die Handlung an den unstillbaren Trieb in jedem, und zweitens ist die Produktion vom London Musical Theatre einfach perfekt. Jeder Griff sitzt, jede Bewegung stimmt, das Stück (Regie: Christopher Malcolm) läuft ab wie am Schnürchen. Zeit für spontane Witzchen und Kontakt zum Publikum gibt es trotzdem. Hans B. Goetzfried mimt einen locker-aggressiv agierenden Erzähler. Jon Boydons Frank‘N'Furter, ein Nachfolger des Dr. Frankenstein und bisexuell bis in die Zehennägel, tänzelt mit imperialer Erotik über die Bühne. Alles singt, tanzt und zupft auch mal am Präservativ. Und wie! Wo gibt es noch ein solches Allround-Talent wie NickyWilson in der Beinahe-Nebenrolle der Columbia! Oben auf einem Balkon sorgt ein Phantom-Quartett optisch für den rechten Schwung, und aus der Band (Leitung Andrew Hilton) kommt ein kerniger Sound, dessen Bass-Schläge treffsicher die Magengrube erreichen. Die Musik ist einfach unverschämt gut, immer unter Hochspannung, völlig frei von Monotonie und wirklich einfallsreich. Da kommt sogar unterm Regencape Begeisterung auf. Zwei Dutzend Freaks in kurzen Röcken, Netzstrümpfen und Stöckelschuhen sorgten mit Wasserpistolen, Feuerzeugen, Wunderkerzen und Klopapierrollen fürs rechte Horrorshow-Gefühl. Am Ende schwappte die Begeisterung über. Echt kultig, der Abend! www.intrinet.de/clickme

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