Sprengstoff gegen die Normalität

TRIER/PRÜM. Der Sänger Daniel Küblböck liest am Freitag, 2. Juli, in Prüm aus seiner Autobiografie "Ich lebe meine Töne". Die Auftritte des RTL-"Superstars" führen immer wieder zu lebhaften Diskussionen. In Prüm war sogar von "Kulturschande" die Rede. In einem TV -Interview geht der Trierer Sozialwissenschaftler Waldemar Vogelgesang auf äußere und innere Wahrnehmungen zur Person Daniel Küblböck ein.

Wie kann man sich dem Phänomen Daniel Küblböck nähern? Vogelgesang: Indem man zunächst einen Blick auf seine Geburtsstunde wirft: die Casting Show "Deutschland sucht den Superstar". Es handelt sich dabei um ein neues Fernseh-Format, das auf Jugendliche einen immensen Reiz ausübt, sozusagen über Nacht aus der anonymen Masse herauszutreten und zu einem Star zu werden. Aber was ist das Besondere an Küblböck im Unterschied zu den anderen Kandidaten? Vogelgesang: Die Logik dieses Formats liegt in der Produktion von Stars mit einer recht kurzen Halbwertszeit. Es sind Instant-Figuren, deren Stern meist nur bis zur nächsten Superstar-Runde leuchtet und durch die neuen Gewinner rasch an Strahlkraft verliert. Küblböck hat sich diesem Verfallstrend - jedenfalls bisher - erfolgreich entgegengestemmt. Was macht Daniel Küblböck denn besser als die anderen? Vogelgesang: Er ist zu einer Art von populärkultureller Ich-AG geworden, ein Selbstunternehmer und Selbstinszenierer, der wie kein anderer Superstar-Teilnehmer gelernt hat, öffentliche Aufmerksamkeit auf die "Marke Küblböck" zu lenken. Für seine Fans haben die Auftritte ihres Idols etwas Unmittelbares, Eigenwilliges, Authentisches; verbunden mit einem sehr hohen Erlebnis- und Identifikationswert. Er ist zu einem Alltags-Star geworden, auf den die Teens ihre Hoffnungen auf Anerkennung, Erfolg und Unabhängigkeit projizieren und der sie für die Dauer eines Küblböck-Events die eigene Kleinheit und Unbekanntheit vergessen lässt. Warum spaltet er das Publikum in radikale Gegner und ehrfürchtige Bewunderer? Vogelgesang: Zunächst einmal sprengt Küblböck jegliche Form von Normalitätsvorstellung. Aber das Exotische seiner äußeren Erscheinung, die eigenwillige Dialektsprache, das sprunghafte Verhalten und nicht zuletzt die spielerische Vermischung von männlichen und weiblichen Geschlechtsrollenmustern wird völlig unterschiedlich bewertet. Für die einen verkörpert diese Art der Selbststilisierung eine neue Form des Dandytums, des Lebenskünstlers, der die Kunst des Eigensinns perfektioniert hat. Für die anderen ist er schlicht eine Witzfigur, die sich tagtäglich selbst karikiert und zum Ergötzen der anderen lächerlich macht. Eine professionell in Szene gesetzte Form postpubertärer Vergeistigung also? Vogelgesang: Ob Gurkenlaster, Dschungelcamp oder Autorenlesung: Der "smart boy" setzt seine soziale Identität nicht wirklich aufs Spiel, ihm droht keinGesichts- und Imageverlust, weil sein infantiler Habitus immer signalisiert: Ich bin (noch) nicht erwachsen. Viele junge Menschen entdecken sich in diesem Schwebezustand wieder und sehen in der Bastel-Existenz Küblböcks einen erfolgreichen Entwurf gegen den allseits zu beobachtenden Konturverlust sozialer Rollen und die damit einhergehenden Verunsicherungen und Wahlfreiheiten. Was bedeutet das Phänomen Küblböck für die Gesellschaft? Vogelgesang: Daniel Küblböck ist ein Kind unserer Zeit und spiegelt sie in gewisser Weise auch wider. Einerseits verweist seine Popularität darauf, welchen Stellenwert Medien heute haben und wie gezielte Vermarktungsstrategien quasi aus dem Nichts einen Star entstehen lassen. Andererseits wird auch deutlich, dass nicht so sehr Talent und Leistung wichtig sind, sondern eine medienwirksame Selbstdarstellung, verbunden mit Ruhm und Geld. Und das alles ohne zeitraubende Arbeit, sondern sofort und ohne Mühe. Wie werten Sie den Begriff "Kulturschande" mit Blick auf die Lesung Küblböcks? Vogelgesang: Daniel Küblböck ist ein jugendkulturelles Phänomen und keine Kulturschande. Da sollte man doch die Betrachtungs- und Bewertungsebenen deutlich auseinander halten. Was insgesamt auffällt ist, dass die Grenzen zwischen Hochkultur und Popkultur fließender geworden sind und daher eine derartige Lesung auch Anlass sein kann, sich über bestimmte literarische Standards und unterschiedliche Lesarten auszutauschen. Und wem der allgemeine Selbstbespiegelungskult à la Becker, Bohlen oder Küblböck nicht zusagt, der sollte einfach ein anderes Buch zur Hand nehmen. Das Interview führte unserer Redakteur Manfred Reuter.

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