Stillstand auf halbem Weg

Wer kennt schon die neapolitanische Musikkultur des 17. Jahrhunderts? Die "Cappella della Pietà de' Turchini" und ihr Leiter Antonio Floriasuchte deren Anschaulichkeit, religiöse Sinnlichkeit und dramatische Prägnanz zu vermitteln, allerdings nicht immer mit Erfolg.

Luxemburg. (mö) Die ersten Takte klingen verheißungsvoll. Das Instrumentalensemble der "Cappella della Pietà de' Turchini" entwickelt unter dem präzisen Dirigat von Antonio Florio auf historischem Instrumentarium eine berückende Klangkultur - sanft, beinahe einschmeichelnd, dabei mit deutlicher Struktur. Musik, die Gedankenreichtum, Rhetorik und tänzerischen Schwung verbindet. Die Generalbass-Gruppe, die von einer Vielzahl an Fundament-Instrumenten profitiert (Cello, Kontrabass, Cembalo, Theorbe, Harfe und Orgel), lässt alle Schwerfälligkeit hinter sich, gibt immer wieder tänzerische Impulse, und die beiden Blockflöten setzen dem Ganzen pastellfarbene Glanzlichter auf. Dieser Interpretationsstil hat ein exemplarisches Niveau: intonationsrein, flexibel ausschwingend und mit einer berückend weichen, silbrigen Klanggebung - sinnlich und innig zugleich. Damit erwiesen sich die Instrumentalisten als beredte Vermittler eines fast unbekannten Stils, der Musik aus Neapel im 17. Jahrhundert. Orazio Giaccio, Cristofano Caresana und Pietro Andrea Ziani gehören nicht zu den großen Komponisten. Aber sie repräsentieren eine überaus hoch stehende Kultur. Ihre Kantaten sind Barockmusik par excellence. Sie glänzen nicht mit groß angelegten Formen, nicht mit diffizilen Strukturen und lassen sich nur selten auf polyphone Experimente ein. Ihre kleinteilige, manchmal formelhafte, aber immer anschauliche und wirkungssichere Dramatik zielt auf das christliche Bewusstsein und Selbstbewusstsein der Menschen, so wie die barocken Deckengemälde Sinnlichkeit im Dienste der Religion entfalten. Fast alle Kompositionen dieses Konzerts beziehen sich auf die "Nascita del verbo", das Wort, das Fleisch wurde. Ihre Verbindung von antikem Mythos und religiöser Verkündigung mutet heute naiv an - zu Unrecht, denn sie offenbart bei Dichtern, Komponisten und sicherlich auch Zuhörern einen Bildungshorizont, der der Moderne längst abhanden kam. HintergrundDas 17. Jahrhundert gilt als das goldene Zeitalter der neapolitanischen Kultur. Vier Konservatorien mit jährlich über 500 Studenten brachten viele Komponisten hervor, deren Werke aber wenig bekannt sind. Eine Sammlung von Einspielungen ist auf der CD "Viva Napoli!" (Harmonia Mundi) zu finden.

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