Sturm der Emotionen

Spektakulärer Auftakt der Moselfestwochen: 900 Besucher feierten in St. Maximin die Aufführung des selten gespielten Oratoriums "The Apostles" von Edward Elgar. Die Produktion des Friedrich-Spee-Chors mit rund 200 Mitwirkenden sorgte trotz der wetterbedingten Verlegung in den Saal für Begeisterung.

 Starke Gefühle: Nico Wouterse, Barbara Dobrzanska, Monique Simon (v. l.) TV-Foto: Hans Krämer

Starke Gefühle: Nico Wouterse, Barbara Dobrzanska, Monique Simon (v. l.) TV-Foto: Hans Krämer

Trier. Ach Ihr Briten, Ihr habt es gut. Keiner kann das wie die Engländer: Pomp zelebrieren, ohne pompös zu sein. Feierlich sein ohne hohles Pathos. Monumental klingen, ohne zu wirken wie der Soundtrack für einen Hollywood-Bibelschinken.Dabei weisen die "Apostel" - Oratorium meets Entertainment - musikalisch durchaus Elemente eines Cinemascope-Films auf: Kräftige Stimmungsgemälde, spannungsgeladene Konflikte, wilder Zorn, balsamischer Trost. Und nicht selten jene Grandezza, die dem Zuhörer das Gefühl gibt, er wachse auf seinem harten Schemel förmlich in die Höhe und müsse sich sogleich erheben, um der Größe des Moments angemessen zu begegnen.Aber so, wie Elgar das komponiert hat und wie Dirigent Martin Folz es musizieren lässt, verliert es nie die Noblesse, wird nie pure Effekthascherei. Selbst wenn 120 Sänger und 80 Musiker es derart donnern, blitzen und stürmen lassen, dass man ein zweites Mal an diesem Pfingst-Wochenende um die Dachziegel in Wintersdorf zu fürchten geneigt ist.Was Elgar in seinem Oratorium musikalisch nachzeichnet, ist die biblische Geschichte um die Berufung der Apostel, um ihren Glauben, ihren Verrat, ihre Gefolgschaft. In sieben Szenen fächert er das Geschehen auf, lässt Erzähler kommentieren, Handelnde zu Wort kommen. Das Werk verzweigt filigran Chor, Orchester und Solisten. Gegen Ende der ersten Hälfte neigt es freilich zur Langatmigkeit, vor allem, weil der Komponist bei den Singstimmen nicht jene Genialität erreicht, die seine Chorsätze auszeichnet.Judas: Zerrissen im Sturm der Emotionen

Aber das bleibt ein bescheidener Einwand angesichts des Sturms der Emotionen, der folgt. Judas, von Anfang an ein Zweifelnder, Zerrissener, verrät Jesus, um Gewissheit über die Frage zu erhalten, ob er Gottes Sohn ist. Da brilliert Siegmund Nimsgern als Charakter-Darsteller. Wie überhaupt das Solisten-Sextett kaum Wünsche offen lässt. Allen voran der Einspringer Vinzenz Haab, der ebenso wie Tenor Klaus Schneider dramatische Kraft mit Gesangskultur verbindet. Monique Simon hört man die erfahrene, ausdrucksstarke Opernsängerin an. Schön, Barbara Dobrzanska wieder einmal in Trier zu sehen, mit gereiftem, kräftiger gewordenen, gewohnt ausdrucksstarken Sopran, der sich mühelos über Chor und Orchester erhebt. Auch Nico Wouterse entwickelt sich weiter, die Stimme wird runder, ausgeglichener, kraftvoller. An der Wort-Genauigkeit muss er arbeiten - wie überhaupt die Textverständlichkeit auf der Soll-Seite des Abends steht.Die Rheinische Philharmonie verleiht der Produktion ein starkes Fundament, und sie glänzt, wo das Orchester lautmalerisch und intensiv seine Stimmungsbilder zeichnet. Die Abstimmung mit dem Chor klingt in den Erzähl-Passagen manchmal ein wenig verwaschen, aber das ist vergessen, sobald man sich in gefühlsmäßige Höhen erhebt.Das Beste zum Schluss: Die Chöre (Spee-Chor, Ensemble 85, Tampere Philharmonic Choir, Einstudierung: Timo Nuoranne) zeigen sich in sensationeller Weise als einheitlicher "Klang-Körper" im besten Sinne des Wortes - nicht nur, aber vor allem bei den Frauenstimmen. Dirigent Martin Folz hält den Laden hochkonzentriert, souverän, aber auch mit sichtlicher Anspannung zusammen. Und er widersteht zum Glück der Versuchung, die "Last night of the Proms"-Wutz rasen zu lassen. Die "Standing Ovations" am Ende beginnen in der letzten Reihe. Will heißen: Sie kommen nicht daher, dass vorne ein paar Besucher auf den teuren Plätzen aufstehen und der Rest mittun muss, weil er sonst nichts sieht. Ehrliche Begeisterung also. Welche Euphorie hätte es wohl in St. Matthias unter freiem Himmel gegeben.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort