Tannhäuser im Büßerhemd, ganz ohne Musik

TRIER. Er hat offenbar doch einen heißen Draht zu Petrus, der Trierer Intendant Heinz Lukas-Kindermann. Denn das Wetter, den größten Teil der Woche ziemlich ungemütlich, klarte rechtzeitig auf: "Jedermanns" Tod war zwar nicht zu verhindern, aber wenigstens wurde er nicht nass.

 LETZTES VERGNÜGEN: Jedermann (René Kollo) amüsiert sich mit seiner Buhlschaft (Nadine Kettler). Über 1200 Zuschauer verfolgten gestern das Schauspiel auf dem Trierer Domfreihof. Foto: Friedemann Vetter

LETZTES VERGNÜGEN: Jedermann (René Kollo) amüsiert sich mit seiner Buhlschaft (Nadine Kettler). Über 1200 Zuschauer verfolgten gestern das Schauspiel auf dem Trierer Domfreihof. Foto: Friedemann Vetter

Jetzt also draußen, unter freiem Himmel, vorm Dom das "Spiel vom Sterben des reichen Mannes". Wer die Inszenierung von Heinz Lukas-Kindermann im Theater gesehen hat, in diesem das Künstliche und Schlichte der Hofmannsthalschen Dichtung sehr genau betonenden geschlossenen Kunstraum sah, sieht den "Jedermann" nun mit neuem Blick. Die kunstlos-archaisierende Sprache, die "Reim- dich-oder- ich- fress- dich"- Knittelverse und die holzschnittartige Figurenzeichnung - hier vor dem alten Gemäuer wirken sie auf einmal "richtig", haftet der naiven Frömmigkeit des Textes nichts Falsches, Aufgesetztes an. Liegt‘s nur an der Monumentalkulisse, die nicht für ein paar Vorstellungen, sondern für Jahrhunderte erbaut wurde? Vielleicht. Aber auch das Spiel der Mimen, soweit sie schon an der Bühnenfassung beteiligt waren, scheint angesichts dieser Umgebung an Tiefe, Intensität und Deutlichkeit gewonnen zu haben: Eine beachtliche Ensemble-Leistung ist da zu besichtigen, zu recht lang bejubelt am Schluss.

Herausragend Peter Singer in seiner Doppelrolle als göttlicher Teufelskomödiant, Klaus-Michael Nix als Dünner und Manfred-Paul Hänig als Dicker Vetter: zwei prachtvolle Komiker; Verena Rhyn als streng-verklärte Mutter Jedermanns, Helen Höbel, die ihrem kurzen Auftritt als des Schuldners Weib anrührende Tiefe verleiht, und noch prächtiger, noch rassiger und ausgelassener als in geschlossenen Räumen: Nadine Kettler als Buhlschaft.

Dazu als Einstimmung ein farbenfroh-ausgelassenes mittelalterliches Jahrmarktstreiben mit Feuerschlucker, Jongleuren, Akrobaten. Und als szenisch-akustische Beigabe gab‘s - was, wie Lukas-Kindermann stolz verlauten ließ, selbst die Zuschauer in Salzburg nicht erleben können, da dort die Kirche nicht mitspielt - die Glocken des Doms, die, ungeachtet der vollen Stunde, das Sterben des lebenslustigen Wüstlings aufs szenische Stichwort einläuten. Ohne Zweifel: der Umzug vom Augustiner- zum Domfreihof hat diesem "Jedermann" einiges mehr an Profil und Überzeugungskraft verliehen. Zudem hat Lukas-Kindermann die Freilichtaufführung zusätzlich mit zwei weiteren Attraktionen aufgepeppt: Für die kurze Rolle der Guten Werke hat er Elke Sommer wieder nach Trier locken können, und die bisher nicht gerade als Tragödin bekannt gewordene Mimin beweist ihr Talent nachdrücklich auch in ernsten Gefilden. Dieses Beweises hätte es bei René Kollo nicht bedurft. Der an tragischen und heroischen Wagnerpartien Geschulte fühlte sich auch einen ganzen Abend lang ohne Musik sehr wohl in seiner allerersten Sprechrolle. Kollos "Jedermann" verbindet Lebenslust mit Altersweisheit, wirkt aber in seiner Hartleibigkeit noch erbarmungsloser und zynischer als der fast jungenhafte "Jedermann" von Markus Angenvorth, dem man immerhin noch die Unbedachtheit der Jugend zugute halten durfte. Im zweiten Teil kann Kollo freilich seine Opernvergangenheit nicht verleugnen: Da findet er für seinen Jedermann große Gesten, weiß andererseits aber auch mit einer stillen Schlichtheit zu überzeugen, die selbst ohne Musik - wen wundert‘s? - ganz automatisch Assoziationen an Tannhäuser im Büßerhemd weckt.

 Beeindruckende Kulisse: Gebannt verfolgen die Zuschauer die "Jedermann"-Aufführung vor dem Trierer Dom. Fotos: Friedemann Vetter

Beeindruckende Kulisse: Gebannt verfolgen die Zuschauer die "Jedermann"-Aufführung vor dem Trierer Dom. Fotos: Friedemann Vetter

 Das Ende der schönen Tage ist nah: Jedermann (René Kollo) wird vom Tod (Reinhold Bock) abgeholt.

Das Ende der schönen Tage ist nah: Jedermann (René Kollo) wird vom Tod (Reinhold Bock) abgeholt.

 200jahreth20030219.1.jpg

200jahreth20030219.1.jpg

"Jedermann" ist am heutigen Samstag um 17 Uhr noch ein letztes Mal zu sehen; Karten: (0651) 718-1818.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Vom erwischt werden
Vinyl der Woche: Love Is A Wonderful Thing – Michael Bolton Vom erwischt werden
Aus dem Ressort