Tastend durch die Kunstsammlung

Trier · Die Porta Nigra als 3-D-Druck und Gemälde als Reliefs: Das Stadtmuseum Simeonstift will seine Sammlung für blinde Besucher erfahrbar machen. Bei diesem Pilotprojekt wurde das Trierer Haus von Studierenden des Fachs Intermedia Design an der Hochschule sowie der Fächer Technik, Modedesign und Kunstgeschichte unterstützt. Startschuss soll im Sommersemester sein.

Trier. Mit weißem Handschuh streicht Karl Kohlhaas langsam an der Steinfigur aus dem 15. Jahrhundert entlang. Ertastet erst die Beine, die Arme, dann Rumpf und Kopf. Kohlhaas\' Hund Angelo wartet geduldig, bis sein blindes Herrchen zur nächsten Figur weitergeht. Die Handschuhe zum Abtasten sind Teil eines "Blinden-Kits", mit dem das Stadtmuseum Simeonstift Trier künftig seine Sammlung für blinde Besucher erfahrbar machen will.
Die Inklusion, die gesellschaftliche Einbindung behinderter Menschen und ihre Beteiligung am Bildungsangebot sind eine der großen Aufgaben auf dem Weg in ein gleichberechtigtes Gemeinwesen. Einer der ersten wichtigen Schritte war seinerzeit der barrierefreie Zugang zu Einrichtungen und Gebäuden. Überwunden werden müssen allerdings auch Barrieren der Wahrnehmung, wie sie etwa durch Seh- und Hörbehinderungen entstehen.Dreidimensionale Modelle


Mit seinem neuen Projekt, die museumseigene Sammlung auch für Blinde zugänglich zu machen, setzt das Trierer Simeonstift den Barriereabbau im eigenen Haus fort und erweitert damit die Lern-und Erlebniswelt sehbehinderter Besucher. Gemeinsam mit dem Fachbereich Intermedia Design der Hochschule Trier und dessen Seminar "Crossmedia" hat das Haus ein multimediales Angebot entwickelt, das Exponate des Museums auch Blinden zugänglich machen soll. Das funktioniert etwa über ein dreidimensional gedrucktes Modell der Porta Nigra aus Kunststoff. Anhand der Strukturen können blinde Besucher die Geschichte des Bauwerks nachvollziehen: Einzelne Teile lassen sich je nach Bauphase per Magnet ab- und anstecken. Gemälde werden als Reliefs ertastbar und historische Kleider aus dem Textilkabinett können in nachgeschneiderten Mini-Versionen gefühlt werden. Des Weiteren gibt es Ausweise aus der NS-Zeit, ein Selbstporträt des Luxemburger NS-Häftlings Jean Daligaut oder ein Foltergerät zu ertasten. Über Tastsinn, Erzählung und Klangerlebnisse wollen die beteiligten Studenten sehbehinderten Besuchern Eindruck und Beschaffenheit der Stücke vermitteln.
"Wir haben die Exponate nach ihrer Bedeutung für den Bestand des Hauses und die Stadtgeschichte ausgewählt", sagt Alexandra Orth vom Museum. Die Leitung des Projekts hatte Christopher Ledwig. Der Kommunikationsdesigner, der in Trier derzeit eine Vertretungsprofessur innehat, hat mit dem Thema Barrierefreiheit für Behinderte bereits Erfahrung. So hat sein Kölner Büro für die Unesco-Welterbestätte Zeche Zollverein in Essen das Orientierungssystem entwickelt. "Natürlich besteht ein Problem darin, dass der Umfang der Sehbehinderung bei den einzelnen Menschen unterschiedlich ist", erklärt Ledwig. Zudem schaffe angeborene Blindheit andere Wahrnehmungsbedingungen als erworbene. Entsprechend verschieden ist die Wirkung der blindengerecht aufbereiteten Schaustücke, zumal auch nur ein geringer Teil der Blinden die zu ertastende Blindenschrift lesen kann.
"Wir können nicht alle Barrieren abbauen, wir können sie nur reduzieren", bestätigt Karl Kohlhaas. Der 55-Jährige, der vor 20 Jahren erblindete, ist einer der beiden Sehbehinderten, die dem Projekt mit Rat aber auch als Testperson zur Verfügung standen. "Ich habe nur gute Erfahrungen damit gemacht", erklärt er. Das gilt auch für die Studierenden: "Bislang hatten wir mit Blinden nichts zu tun", berichtet Rebecca Dennen. "Ich bin schockiert, wie schwer es ist, als Blinder den Alltag zu leben."
Zu wünschen wäre dem Projekt noch ein wissenschaftlicher Kooperationspartner, der zum Thema Blindheit und veränderte Wahrnehmung durch Sehbehinderung forscht.

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